Ober das Vorkommen rudimentarer Stipeln bei den Lecythidaceae (s. 1.) und Sonneratiaceae Von
Focko Weberling Mit 1 Abbildung im Text (Eingegangen am 11. April 1957)
In einer fruheren Untersuchung (WEBERLING 1956) konnte festgestellt werden, daB ein groBer Teil der Myrtales-Familien durch den Besitz rudimentarer Stipeln ausgezeichnet ist. Das gilt fUr die Haloragaceae, die Myrtaceae und die Punicaceae, ferner fiir einige Onagraceen-Gattungen. Fur die Lythraceae sind die Rudimentarstipeln bereits von E. KOEHNE (1903) ausfiihrlich beschrieben worden. Die Hydrocaryaceae besitzen ebenfalls kleine Stipeln, die Rhizophoraceae groBe Interpetiolarstipeln. Namentlich die Myrtaceae und Punicaceae wurden bisher als stipellos angesehen. Es lag nahe, auch andere Familien aus der Myrtales-Verwandtschaft in die Untersuchungen einzubeziehen. Dabei wurde unsere Aufmerksamkeit auf die Lecythidaceae (s.1.) und die Sonneratiaceae (Blattiaceae) gelenkt. Sie werden von den Systematikern fast allgemein als nebenblattlos beschrieben (E'. NIEDENZU 1892a, 1892b, E. P. PHILLIPS 1926, R. v. WETTSTEIN 1935), auch bei H. GIAjCK (1919) finden sich keinerlei Hinweise auf ein Vorkommen von Stipeln bei d:esen Familien. Fur die Lecythidaceae (s. str.) erwahnt als cinziger J. LINDLEY (1853) "minute deciduous stipules". In der Bearbeitung von R. KNUTH (1939) werden die Lecythidaceae (s. 1.) in drei Familien aufgespalten, namlich die Barringtoniaceae, die Lecythidaceae im engeren Sinne und die Asteranthaccae, welch letztere nur die monotypische Gattung Asteranthos DESF. umfassen. In der Familiencharakteristik der Barringtoniaceae schreibt KNUTH: "Stipulae 0". Bei der Beschreibung der Vegetationsorgane bemerkt er hingegen: "Nebenblatter sind nicht vorhanden oder aber klein und hinfaJIig". In den Artdiagnosen findet man keinerlei Angaben, welche auf ein Vorkommen von Stipeln hindeuten. Allerdings wird fUr Napoleona Hendelotii A. Juss. (S.69) und N. Vogelii HOOK. & PLANCH. (S. 72) erwahnt, daB die Blattbasen jeweils mit zwei Drusen ausgestattet sind. Bei den "stipulae ... aliformes", welche fUr Crateranthus Le-Testui LECOMTE (S. 65) angefUhrt werden, durfte es sich dagegen um StengeIflugel handeln, welche aus der "herablaufenden" Blattbasis hervorgehen und beiderseits vom Blattansatz iihrchenfiirmig vorgezogen sind. Solche Stengelflugel werden auch fur C. Talbotii E. G. BAKER (S. 65/66) beschrieben und abgebildet.
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Die Lecythidaceae (sens. KNUTH) werden von KKUTH gleichfalb als stippllos bezeichnet. Nur bei Eschweilera reversa Prl'TIER (S. 94) hciBt AS in der Artdiagnose: "Stipnlae 3 mm longae, tenues", sie wird sogar von den verwandten Arten u. a. auch durch ihre Stipeln unterschieden. H. PITTIER (1927), der diese Art beschrieben hat, fand Stipeln aber auch noch bei drei anderen Vertretern der FamiJie, niimlich bei Gustavia bmchycarpa PITTIER ("stipules triangular, acute, about 4 mm. long, early caducous"), Couroupita odomtissima SEEM. ("stipules small, subcordate, puberulous, early caducous") und Eschweilem verruculosa PITTIER (= E. Pittieri R. KNUTH) ("stipules absent or early deciduous"). In der Charakteristik der Asteranthaceae (KNUTH 1939) fehlen Angaben iiber Stipeln ganzlich. Ferner findet man auch fiir die Sonnera tiace ae (= Blattiaceae) nirgends etwas iiber das Vorkommen von Stipeln erwahnt.
Eine Revision der genannten Familien hinsichtlich der Ausbildung und Verbreitung von Rudimentarstipeln stiH3t auf Schwierigkeiten, weil es sich durchweg urn Baume oder Straucher des tropischen Regenwaldes oder der Mangroven handelt, welche auBerhalb der Tropen kaum in Kultur genommen werden. Man ist demzufolge auf das Studium von Herbarmaterial angewiesen. Durch seine Beschaffenheit, bei den Lecythidaceen ..(s.1.) besonders wegen der derben groBen Blatter, ist dieses jedoch wenig fUr eine Untersuchung der meist hinfalligen rudimentaren Stipeln geeignet. Diesem Umstand ist es wohl zuzuschreiben, wenn die sowohl bei den Lecythidaceen (s. 1.) wie bei den Sonneratiaceen vorhandenen Rudimentarstipeln bisher den Augen der Beobachter fast immer entgangen sind. Sehr haufig sind die Stipeln verdeckt, wenn sie in der Blattachsel stehen, oder sie sind groBenteils abgefallen, zumal dann, wenn alteres oder weniger gut erhaltenes Material vorliegt. Aus diesem Grunde ist es bei Herbarstudien nicht miiglich, einwandfrei festzustellen, ob die Stipeln bei einer bestimmten Art wirklich fehlen. In die folgende Ubersicht sind daher nur die Arten aufgenommen, bei denen Stipeln nachgewiesen werden konnten. Bei den Sonneratiaceen war das stets der Fall. Auch bei den Lecythidaceen gelang dies fast immer, sofern der Erhaltungszustand des Materials einigermaBen gut war, nur in wenigen Fallen konnten die Stipeln uberhaupt nicht gefunden werden. 1m ubrigen weisen beide Familien in der Ausbildung dieses Merkmales so viele Gemeinsamkeiten auf, daB wir sie hier zugleich besprechen wollen.
Obersicht tiber die Arten der Barringtoniaceae, Lecythidaceae und Asteranthaceae, bei welchen Rudimentarstipeln gefunden wurden Die Anordnung folgt dem System nach R. KNUTH (1939). Soweit die Sammlernummern der untersuchten Herbarexemplare bei KNUTH verzeichnet waren, wurden sie bei der Nomenklatur berucksichtigt. Nicht
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sieher bestimmte Exemplare wurden mit einem (?) versehen, das Zeichen (±) gibt an, daB das Ergebnis nicht eindeutig war. Barringtoniaceae I. Barringtonieae: 1. Barringtonia FORST.: B. acutangula GAERTN.; B. asiatica (L.) KURZ; B. coccinea (LOUR.) KOSTEL; B. luzonensis (PRESL) VID.; B. pubescens (MIERS) R. KN.; B. reticulata (BL.) MIQ.(?); B. Rheedii (BLUME) R. KN.; B. spica/a BLUME; B. sumatrana MIQ.; B. speciosa W AI.L. 3. Planchonia BLUME: P. lanceolata (RIDL.) R. KNUTH (= Careya lanceolata RIDLEY). 4. Chydenanthus MIERS: Ch. excelsus (BLUME) MIERS (?) (±). II. Combletodendreae: 5. Combretodendron CHEV.: C. africanum (WELW.) EXELL. (= Petersia atrican a WELW.). III. Foetidieae: 6. Foetidia COMM.: F.ophirensis R. KNUTH; F. retusa BLUM~;. V. Napoleoneae: 8. Napoleona BEAUV.: N. angolensis WELW.; N. Gossweileri E. G. BAKER; N. Talbotii E. G. BAKER.
Lecythidaceae 1. Gustavia L.: G. augusta L.; G. brasiliana DC.; G. hexapetala (AUBL.) SMITH. 3. Cariniana CASAR: C. estrellensis (RADDI) O. KUNTZE (= Couratari estrellensis RADDI). 5. Couroupita AUBL.: C. guianensis AUBL. (?); C. peruviana (MIERS) BERG; C. sun'r;amensis MART. 7. Lec ythis LOEFL.: L. hians A. C. SMITH. 10. Chytroma MIERS: Ch.ovalifolia (DC.) MIERS (?); Ch. turMnata (BERG) Mums. 11. Eschweile1'a MART.: E. angustifo!ia MART.; E. Blllnchetiana (RERG) MIERS; E. idatimonoides (BERG) MIERS; E. juruenbis R. KNUTH; E. Erukovii A. C. S~;llTH; E. Zongipes (POIT.) MIERS f. genuina (SAGOT) R. KN. (.1); E. L!lschnathii (BERG) Mn:RS (?); E. nllna (BERG) MIERS; E. odorn (POEPP.) MIERS (±); E. pachysepaZa (SPRUC],) MART.; E. parvifolia MART.; E. pilosa. (POEPP.) MIERS; E. Sagotiana MIERS; E. subglandulosa (STEUD.) MIERS (±); E. tenax (MORITZ) MIERS. 15. Couratari AUBL.: C. jagijolia (MIQ.) EYMA; C. macrosperma A. C. SMITH.
Asteranthaceae Asteranthos DESF.: A. brasiliensis DESF.
Die auf das Vorkommen von Stipeln hin untersuchten Arten der Sonneratiaceae Anordnung gemaB dem System naeh F. NIEDENZU (1892) I. Sonneratioideae (Blattioideae): 1. Sonneratia L. f. (Blatti ADANS.): S. alba J. SM. (+); S. caseolaris (L.) ENGLER (+).
tb!'[ das Yorkolllmcn rndimcntiirpl' StipP]1l 2. Duabanga
HAMILT.:
D. moluccana
BLUME
I L Cryptcronioideae: 3. Crypteronia BLUME: C.leptostachys
IlSW.
(+); D. sonnerati01:des
ENDL.
(+); C. paniculata
HA}I.
(+).
BL.
(+).
Stipeln sind definiert a18 randliche Ausgliederungen des Blattgrundes, die sich wahrend der Blattentwicklung durch fruhzeitige Anlegung und starke Prolepsis auszeichnen. Wenn wir also den Nachweis erbringen wolbn, daB es sich bei den in Rede stehenden Bildungen tatsachlich um Stipeln handelt, so mussen wir die Blattentwicklung untersuchen. Das konnte an Gustavia augusta L.l), Eschweilera Krukovii A. C. SMITH, Foetidia retusaL., Barringtonia speciosa WALL.2) und Crypteronia leptostachys ENDL. durchgefiihrt werden. Es zeigte sich uberall, daB die Stipeln sehr fruh in Erscheinung treten, so besonders deutlich bei Barringtonia speciosa und Crypteronia Zeptostachys. Ferner weisen sie eine ausgepragt proleptische Entwicklung auf. (Bei Crypteronia Zeptostachys z. B. erreichen sie schon kurz nach ihrer Anlegung fast die Lange des Oberblattprimordiums, werden dann aber schnell wieder yom Oberblatt uberholt.) Zu dem Zeitpunkt, in welchem das Blatt ausgewachsen ist, sind die Stipeln in der Regel schon abgestorben, womit ihre gelbliche, braune oder rotbraune Farbung zusammenhangt. Auf Grund ihrer Konsistenz kann man annehmen, daB die Rudimentarstipeln hier, wie in zahlreichen ahnlichen Fallen, Drusenfunktion besitzen. Ihre Haupttatigkeit entfalten sie wohl wahrend der Streckungsphase des Blattes, spater fallen sie haufig ab, manchmal aber uberdauern sie sogar das Abfallen des Oberblattes. Sie bleiben dann, freilich in abgestorbenem Zustand, an der Blattnarbe stehen, wo man sie sehr leicht auffinden kann. Bei vielen Arten sind sie auch an den Narben der Brakteen anzutreffen. Die Brakteen selbst haben wir, da sie an ihrem Grunde Stipeln tragen, als laminare Bildungen anzusehen. Die Lange der Rudimentarstipeln geht nur selten uber 1 mm hinaus, meist betragt sie etwa 0,5 mm. Die Form ist recht verschieden und kann bei ein und derselben Art erheblich variieren. Fur bestimmte Arten (Couroupita peruviana) scheint sie konstant und charakteristisch zu sein. In der Regel bilden die Stipeln kleine pfriemliche oder lanzettliche Zipfel, manchmal sind sie auch haarfiirmig oder kurz kegelfiirmig. Sie stehen bald zu beiden Seiten auBen an der Blattachsel (Couroupita, Crypteronia, vgl. Abb. 1), bald rucken sie weiter in diese hinein (Sonneratia, Duabanga). Nicht selten ist dann die Zahl der die Stipel reprasentierenden Zipfel auf 1) Herr Dr. ST. VOGEL, Mainz, iiberlieB mir zu diesem Zweck in Kolumbien p:esammeltes Herbarmaterial. Ich miichte ihm dafiir vielmals danken. 2) Herr Prof. Dr. W. TROLL steUte mir in Alkohol fixiertes Material von Barringionia zur Verfiigung, wofiir ich ihm sehr danken miichte.
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jcder Scite del' Blattbasls vermchrt und ihre Form stark abgeflacht dreieckig odcr lanzcttlich. Oft bildcn sic einc blattachselstandige Querreihe. In allen diesen Ziigen ahneln die Stipeln sehr denen der Myrtaceae. Sowohl die haufig vermehrte Zahl der Stipularzipfel wie auch deren Hineinriicken in die Blattachscl wurden schon mehrfach untersucht (WEBERLING 1955a, 1955 b, 1956) und konncn als ein stan dig wiederkehrcndes Merkmal der Rudimentarstipeln gelten. Bei unseren Untersuchungen an Myrtaceen und Punicaceen (1956) konnten wir bei Punica granatum L. Stengelleisten beobachten, die von den beiden Seiten des Blattansatzes abwarts verlaufen und rechts und links yom Blattansatz in zwei kleine flache Hornchen auswachsen, welche Blattstiel und Stipeln flankieren. Unter den Lecythidaceen kehrt das
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Abb. 1. I Couroupita peruviana (MIERS) BERG, Blattbasis mit Stipel. II Crypteronia leptostrrchys ENDL., Basis eines Blattwirtels mit Stipeln (nach HerbarmateriaI gezeichnet von G. FLEISCHER).
gleiche Verhalten bei N apoleona Talbotii E. G. BAKER wieder. Auch hier sind die Stengelleisten beiderseits des Blattansatzes in zwei kurze Ohrchen ausgezogen, die man aber keinesfalls mit den Stipeln verwechseln darf. Diese stellen pfriemliche Zipfel dar, welche zwischen den Ohrchen und dem Blattstiel inseriert sind. In entsprechender Weise diirften auch die vermeintlichen Stipeln bei Orateranthus Le-Testui LECOMTE als Anhange der Stengelleisten aufzufassen sein, wahrend man die eigentlichen Stipeln wohl iibersehen hat. Mit dem Nachweis, daB in der Gattung Napoleona und bei den iibrigen Lecythidaceen (s.l.) Rudimentarstipeln vorkommen, welche in ihrer Struktur sehr ahnlich sind, wird auch die Zugehorigkeit dieser Gattung zu den Lecythidaceae (s.l.) bestatigt. Das wird zwar heute ohnehin nicht mehr angezweifelt, doch hat man die Gattung friiher in die verschiedensten Verwandtschaftskreise eingeordnet, in welch en aber meist keine Stipeln oder doch wenigstens keine Rudimentarstipeln auftreten. Aus den vorhergehenden Untersuchungen darf man wohl schlieBen, daB rudiment are Stipeln sowohl bei den Lecythidaceae (s.l.) wie auch
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hei den Sonneratiaceae weit verbreitet sind. Die beiden Familien schlieBen sich somit auch in dieser Hinsicht png an dip obengenannten ubrigen Familien der Myrtales an. Das Herbarmaterial, welches den Untersuchungen zugrunde lag, starnmte aus dem Herbarium des Systematisch-Geobotanischen Instituts der Universitiit Gottingen und der Botanischen Staatssammlung in Miinchen. Herrn Prof. Dr. F. FIRBAS und Herrn Doz. Dr. H. MERXMULLER bin ich darum zu groBem Dank verpflichtet.
Literatur GLUCK, H., 1919. Blatt- und bliitenmorphologische Studien. Jena. - KNUTH, R., 1939. Barringtoniaceae, Lecythidaceae und Asteranthaceae. In: ENGLER, A., Das Pflanzenreich IV, 219, 219a, 219b (105. Heft). Leipzig. - LECOMTE, H., 1920. D~ux especes nouvelles dngenre Crateranthus (Lecythic'acees). Bull. Mus. Nat:onal d'Histoirp NatureIIe . 26, (1), 68-71. Paris. - LINDLEY, J., 1853. The vegetable kingdom, ed. 3. London. - NlEDENZU, F., 1892. Blattiaceae. In: E2'lGLER-PRANTL, Die natiirlichen Pflanzenfamilien, III. Teil, 7. Abt., 16-21. Leipzig 1898. - Ders., 1892. Lecythidaceae, wie vorige, 26-41. - PHILLIPS, E. P., 1926. The Genera of South African Flowering Plants. Botanical Survey of South Africa Memoir, No. 10. Cape Town. - PITTIER, H., 1927. The Lecythidaceae of Central America. Contributions from the United States National Herbarium 26, Part 1. Washington. - WEBERLING, F., 1955 a. Morphologische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen iiberdie Ausbildung des UnterbJattes bei dikotylen Gewachsen. Diss. Mainz 1953, erschienen in Beitr. z. BioI. d. PfI. 32, 1, 27-105. - Ders., 1955b. Die Stipularbildungen der Coriariaceae. Flora 142, 4, 629-630. - Ders., 1956. Untersuchungen iiber rudimentiire Stipeln bei den Myrtales. Flora 143, 2, 201-218. Jena. - WETTSTEIN, R. v., 1935. Handbuch der Systematischen Botanik, 4. Aufl. Leipzig und Wien.
Anschrift des Verfassers: Dr. Institut der Universitat.
FOCKO WEBERLING,
Mainz, Botanisches