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Schwerpunkt
Priorisierung im Gesundheitswesen: Was ko¨nnen wir aus den internationalen Erfahrungen lernen? Georg Marckmann Institut fu¨r Ethik und Geschichte der Medizin, Universita¨t Tu¨bingen
Zusammenfassung Im Gegensatz zu Deutschland haben verschiedene andere La¨nder bereits vor u¨ber 20 Jahren begonnen, Modelle zur Priorita¨tensetzung im Gesundheitswesen zu entwickeln. Der vorliegende Beitrag bietet eine U¨bersicht u¨ber die Erfahrungen in Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Großbritannien und dem US-Staat Oregon. In der U¨berzeugung, dass aufgrund der zunehmenden Diskrepanz zwischen medizinisch Mo¨glichem und o¨ffentlich Finanzierbarem Einschra¨nkungen in der Gesundheitsversorgung unausweichlich sind, begannen die La¨nder einen gesellschaftlichen Diskurs und etablierten nationale Komitees zur Entwicklung eines Priori-
sierungs-Modells. Die Umsetzung in der Praxis erfolgt in der Regel mit klinischen Leitlinien, die die Indikationen fu¨r medizinische Maßnahmen festlegen. Neben diesen expliziten Allokationsinstrumenten verwenden die meisten La¨nder aber auch implizite Formen der Leistungssteuerung wie z.B. prospektive Vergu¨tungssysteme, um die Kosten der medizinischen Versorgung zu begrenzen. Abschließend wird aufgezeigt, welche Schlussfolgerungen aus den internationalen Erfahrungen fu¨r das deutsche Gesundheitswesen gezogen werden ko¨nnen.
Schlu¨sselwo¨rter: Priorisierung im Gesundheitswesen, Rationierung, Ethik
Prioritisation in Health Care: Learning from International Experiences Summary In contrast to Germany, several other countries started to develop methods for setting priorities in health care more than 20 years ago. This paper provides an overview of the experiences in Norway, Sweden, the Netherlands, the United Kingdom and the US state of Oregon. Acknowledging the fact that – due to the increasing discrepancy between medical demand and publicly available financial resources – it is inevitable to set limits in health care, these countries initiated a public discourse on resource allocation in health care and established national committees to develop
methods for the prioritisation of health care services. In most countries, priorities were implemented by practice guidelines defining clinical indications for medical interventions. In addition to this explicit allocation of scarce health care resources most countries also rely on implicit cost-containment measures (e.g., prospective reimbursement systems). Finally the article will highlight the conclusions that may be drawn from these international experiences for the German health care system.
Key words: health priorities, health policy, health care rationing, medical ethics Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Georg Marckmann, MPH, Institut fu¨r Ethik und Geschichte der Medizin, Universita¨t Tu¨bingen, Gartenstr. 47, 72074 Tu¨bingen.
Tel.: 07071/29-78032; fax: 07071/29-5190. E-Mail:
[email protected] Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) doi:10.1016/j.zefq.2009.02.012
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ARTICLE IN PRESS Seit Mitte der 1980er Jahre haben verschiedene La¨nder versucht, der zunehmenden Diskrepanz zwischen medizinisch Mo¨glichem und o¨ffentlich Finanzierbarem mit einem o¨ffentlichen Diskurs u¨ber Priorita¨ten in der Gesundheitsversorgung zu begegnen. Die unausweichlichen Einschra¨nkungen sollten nicht verdeckt, sondern offen nach explizit vorgegebenen Verfahren und Kriterien durchgefu¨hrt werden. Der vorliegende Beitrag bietet eine U¨bersicht u¨ber die Erfahrungen derjenigen La¨nder, die bereits seit mehreren Jahren einen o¨ffentlichen Diskurs u¨ber Priorita¨ten in der Gesundheitsversorgung fu¨hren bzw. gefu¨hrt haben. Abschließend wird aufgezeigt, welche Schlussfolgerungen aus den internationalen Erfahrungen fu¨r das deutsche Gesundheitssystem gezogen werden ko¨nnen.
Norwegen Norwegen spielte weltweit eine Vorreiterrolle bei der Priorisierung in der Gesundheitsversorgung. Seit 1985 befasste sich eine nationale Parlamentskommission aus Wissenschaftlern und Vertretern der Bevo¨lkerung unter der Leitung des Osloer Theologieprofessors Inge Lønning mit der Frage, wie eine definierte Menge an Ressourcen auf die verschiedenen Teilbereiche der medizinischen Versorgung verteilt werden kann. In ihrem Abschlussbericht definierte das Lønning-Komitee fu¨nf Priorita¨tengruppen [1]: 1. Priorita¨t: medizinische Maßnahmen, die akut notwendig sind, um das Leben von Patienten zu retten. 2. Priorita¨t: medizinische Maßnahmen in weniger schwerwiegenden Fa¨llen, ohne die Patienten katastrophale oder sehr ernste Gesundheitsscha¨den erleiden. 3. Priorita¨t: medizinische Maßnahmen mit nachgewiesenem Nutzen, ohne die Patienten unerwu¨nschte, aber im Vergleich zu den ersten beiden Priorita¨tengruppen weniger ernsthafte Konsequenzen erleiden. 4. Priorita¨t: medizinische Maßnahmen, die vermutlich die Gesundheit
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und die Lebensqualita¨t verbessern, deren Unterlassung deutlich weniger schlimme Auswirkungen hat als in den ersten drei Gruppen. Keine Priorita¨t: medizinische Maßnahmen, die weder notwendig noch von nachgewiesenem Nutzen sind und deshalb der privaten Finanzierung u¨berlassen werden ko¨nnen. Die Priorita¨tensetzung orientiert sich vor allem an dem Kriterium Schweregrad der Erkrankung, gemessen an dem Schaden, den Patienten erleiden, wenn sie die Maßnahmen nicht erhalten. Bei weniger schwerwiegenden Erkrankungen (ab 3. Priorita¨tsgruppe) tritt als weiteres Kriterium die Evidenzsta¨rke des Nutzens der medizinischen Maßnahmen hinzu: Maßnahmen mit nachgewiesenem Nutzen haben Vorrang vor denjenigen, deren Erfolg aufgrund der schlechten Datenlage nur vermutet werden kann. Die Kategorien dienten als Ausgangspunkt fu¨r den o¨ffentlichen Diskurs, wirkten sich aber kaum auf die medizinische Praxis aus. In den einzelnen Verwaltungsbezirken und Krankenha¨usern wurde das Priorita¨tenmodell aufgrund der unscharfen Definition der Priorita¨tengruppen nicht in konsistenter Weise angewendet. Vor allem bei der Interpretation des Schweregrads nutzen die A¨rzte ihren Interpretationsspielraum, um ihren Patienten die gewu¨nschten Leistungen zukommen lassen zu ko¨nnen [2,3]. A¨hnliche Schwierigkeiten manifestierten sich auch im politischen Diskurs: Die ku¨nstliche Befruchtung wurde aufgrund der o¨ffentlichen Debatte von der 4. in die 2. Gruppe hochgestuft. U¨berdies gelang es nicht, die großen regionalen Disparita¨ten in der medizinischen Versorgung zu beheben. Aufgrund dieser nicht sehr ermutigenden Erfahrungen wurde 1996 eine neue Kommission eingesetzt, die ein Jahr spa¨ter ein modifiziertes Modell mit vier Priorita¨tengruppen vorlegte (Lønning-II-Report [4]): 1. Grundlegende Gesundheitsleistungen: Maßgeblich sind die Kriterien Schweregrad der Erkrankung, Behandlungsergebnisse und Kosteneffektivita¨t. Die Leistungen werden
vollsta¨ndig vom o¨ffentlichen Gesundheitssystem u¨bernommen. 2. Zusa¨tzliche Gesundheitsleistungen: Diese Kategorie umfasst weniger schwere Erkrankungen und weniger verla¨ssliche Behandlungsergebnisse. Diese Leistungen sollten so weit wie mo¨glich o¨ffentlich finanziert werden. 3. Leistungen mit geringer Priorita¨t: Diese Maßnahmen sollten nur dann finanziert werden, wenn die Priorita¨ten 1 und 2 abgedeckt sind (Beispiele: ku¨nstliche Befruchtung und kosmetische Chirurgie). Die Kommission empfahl Zuzahlungen, um die Inanspruchnahme zu regulieren. 4. Keine Priorita¨t, private Finanzierung: Experimentelle Behandlungsverfahren, die noch nicht in der Routine etabliert sind. Daru¨ber hinaus versuchte die Kommission, den Prozess der Priorita¨tensetzung nachhaltig in der Praxis zu verankern. Medizinische Expertengruppen sollten auf nationaler Ebene die Anwendung des Priorita¨tenmodells konkretisieren und die Maßnahmen ihres jeweiligen Fachgebietes anhand der drei Kriterien Schwergrad der Erkrankung, Nutzen und Kosteneffektivita¨t den Priorita¨tengruppen zuordnen. Auf der Grundlage dieser Experteneinscha¨tzung sollten nationale Leitlinien und Behandlungsprotokolle entwickelt und von der Politik eingesetzt werden. Um den Prozess dauerhaft zu implementieren, wurde im Jahr 2001 ein nationales Priorita¨ten-Komitee (‘‘National Board of Health Care Priorities’’) eingesetzt. Mindestens drei Aspekte im Lønning-IIReport erscheinen beachtenswert: (1) Neben den Kriterien des Krankheitsschweregrades und dem Nutzen tritt die Kosteneffektivita¨t als weiteres Kriterium fu¨r die Priorita¨tensetzung hinzu. Darin dru¨ckt sich die – auch ethisch durchaus begru¨ndete – U¨berzeugung aus, dass bei insgesamt knappen Ressourcen auch die Effizienz des Mitteleinsatzes beru¨cksichtigt werden muss. Offen bleibt allerdings die Operationalisierung des Kriteriums, da kein
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Die ju¨ngsten Erfahrungen in Norwegen zeigen, wie schwierig es ist, den Prozess der Priorita¨tensetzung dauerhaft zu implementieren. A¨rzteschaft und wissenschaftliche Fachorganisationen sind bei der Umsetzung zuru¨ckhaltend, die O¨ffentlichkeit ist bislang nur unzureichend involviert. Neben der expliziten Versorgungssteuerung durch Leitlinien arbeitet Norwegen auch mit impliziten Instrumenten wie Zuzahlungen fu¨r Patienten (bei ambulanten Leistungen) und prospektiven Vergu¨tungsformen (z.B. Fallpauschalen im Krankenhaus).
Schweden Schweden begann als zweites skandinavisches Land eine politische Diskussion u¨ber Priorita¨ten in der Gesundheitsversorgung [4]. Nach einer dreija¨hrigen Vorlaufphase mit o¨ffentlichen Debatten und Anho¨rungen wurde 1992 eine Parlaments-Kommission mit sieben Vertretern der politischen Parteien und neun Experten mit beratender Funktion eingesetzt. Eines der Hauptziele bestand darin, die O¨ffentlichkeit fu¨r die Probleme der Verteilung knapper Gesundheitsressourcen zu sensibilisieren. Der Abschlussbericht umfasste eine ethische Plattform ’’
und praktische Anweisungen zur Priorita¨tensetzung [5]. Die ethische Plattform entha¨lt grundlegende ethische Prinzipien fu¨r die Priorisierung in der Gesundheitsversorgung: 1. Das Prinzip der Menschenwu¨rde. Alle Menschen besitzen die gleiche Wu¨rde und die gleichen Rechte, unabha¨ngig von ihren perso¨nlichen Eigenschaften und ihrer Stellung innerhalb der Gesellschaft. 2. Das Prinzip der Bedu¨rftigkeit und der Solidarita¨t. Ressourcen sollten in den Bereichen eingesetzt werden, wo die medizinische Bedu¨rftigkeit am gro¨ßten ist. Solidarita¨t beinhaltet auch die Aufmerksamkeit fu¨r diejenigen Menschen, die weniger Mo¨glichkeiten haben, ihrer Stimme Geho¨r zu verschaffen oder ihre Rechte auszuu¨ben. 3. Das Kosteneffektivita¨ts-Prinzip. Kosten und Effekte sollten in einem angemessenen Verha¨ltnis zueinander stehen. Die Kosteneffektivita¨t sollte nur beim Vergleich von Behandlungen fu¨r die gleichen Erkrankungen beru¨cksichtigt werden. Zwei Listen fu¨r die politisch-administrative (Fokus: Populationen) und die klinische Priorisierung (Fokus: individueller Patient) sollen den Entscheidungstra¨gern eine Orientierung bieten. Bei der klinischen Priorisierung ist die Gruppe I noch einmal unterteilt, um sicherzustellen, dass akute, lebensbedrohliche Erkrankungen vordringlich behandelt werden.
Politische/administrative Priorisierung I Behandlung lebensbedrohlicher akuter Erkrankungen sowie Erkrankungen, die unbehandelt zu dauerhafter Behinderung oder fru¨hzeitigem Tod fu¨hren. Behandlung schwerer chronischer Erkrankungen. Palliativmedizinische Versorgung am Lebensende. Versorgung von Patienten mit eingeschra¨nkter Autonomie. II Pra¨vention mit nachgewiesenem Nutzen. Rehabilitation entsprechend
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der Definition im ‘‘Health and Medical Services Act’’. III Behandlung weniger schwerer, akuter und chronischer Erkrankungen. IV Grenzfa¨lle V Behandlung bei anderen Ursachen als Krankheit oder Verletzung. Zu Gruppe IV geho¨ren z.B. die Behandlung von ungewollter Kinderlosigkeit oder die Hormonbehandlung bei Kleinwuchs. Im Vergleich zu Norwegen entha¨lt die ethische Plattform zusa¨tzliche grundlegende ethische Prinzipien, wie die Menschenwu¨rde und das Prinzip der Solidarita¨t. Der Schweregrad der Erkrankung findet sich im Prinzip der Bedu¨rftigkeit wieder. Das Kriterium des Nutzens medizinischer Maßnahmen ist nicht explizit in der Plattform genannt, sondern den Erla¨uterungen der Kommission zufolge im Konzept der Bedu¨rftigkeit enthalten ( ein Bedarf besteht nur fu¨r nu¨tzliche ’’Maßnahmen ), was die im Jahr 2004 vero¨ffentlichten Leitlinien besta¨tigen. Das Kriterium der Kosteneffektivita¨t steht auch in Schweden an letzter Stelle und erfa¨hrt eine Eingrenzung auf den Vergleich von Maßnahmen fu¨r die gleiche Indikation. Dieser ist mit weniger ethischen Problemen verbunden, da er den schwierigen Nutzenvergleich u¨ber verschiedene Erkrankungen und Outcomes hinweg vermeidet [6]. Um den Prozess der Priorita¨tensetzung nachhaltig zu implementieren, setzte die schwedische Regierung 1998 eine Nationale Priorita¨ten-Kommission ein, zu deren Aufgabe es geho¨rt, Information u¨ber die nationalen Vorgaben zu verbreiten, die Implementierung auf lokaler Ebene methodisch zu unterstu¨tzen und die Wirksamkeit zu evaluieren. In ju¨ngster Zeit arbeitet das National Board of Health and Welfare prima¨r unter Beteiligung von Medizinern und Gesundheitso¨konomen an der Entwicklung nationaler Leitlinien, die von den einzelnen Gesundheitsbezirken implementiert und von den Leistungserbringern umgesetzt werden sollen. Die Auswirkungen auf die klinische Praxis ko¨nnen derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. ’’
Kosteneffektivita¨ts-Grenzwert festgelegt wurde. (2) Die Anwendung allgemeiner, auf nationaler Ebene definierter Prinzipien zur Priorita¨tensetzung erscheint a¨ußerst schwierig. Versta¨rktes Gewicht ist deshalb auf die Implementierung in der Praxis zu legen. Hierfu¨r mu¨ssen entsprechend legitimierte Entscheidungsverfahren zur Verfu¨gung stehen. (3) Eine Priorita¨tensetzung kann nur unter Beteiligung medizinischer Experten und der A¨rzteschaft erfolgreich sein. Als Instrumente bieten sich klinische Leitlinien an, die festlegen, welche medizinischen Maßnahmen bei welcher Indikation im Rahmen der o¨ffentlichen Gesundheitsversorgung finanziert werden.
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ARTICLE IN PRESS Niederlande Ende der 1980er Jahre setzte die Niederla¨ndische Regierung das ‘‘Dutch Committee on Choices in Health Care’’ ein, das 1991 den sog. Dunning-Report vero¨ffentlichte [7]. Ausgangspunkt war die U¨berzeugung, dass sich angesichts der Ressourcenknappheit eine Diskussion u¨ber Priorita¨ten in der Gesundheitsversorgung nicht vermeiden lassen, will man an einem bezahlbaren, allgemeinen Zugang zu Gesundheitsleistungen festhalten. Drei Grundprinzipien lagen dem vorgeschlagenen Priorita¨tenmodell zugrunde [8]: Es ist fairer, allen Bu¨rgern Zugang zu den notwendigen medizinischen Maßnahmen zu ermo¨glichen als nur einem Teil der Bevo¨lkerung unbegrenzten Zugang zu allen verfu¨gbaren Leistungen. Eine explizite und demokratisch legitimierte Auswahl an Leistungen ist besser als eine verdeckte Rationierung medizinischer Maßnahmen. Bei der Priorita¨tensetzung mu¨ssen gesellschaftliche Werte mit professionellen Expertenmeinungen verbunden werden. Vier Auswahlkriterien sollten fu¨r die Zusammenstellung des Grundleistungspakets maßgeblich sein [7]: 1. Notwendigkeit: Hier unterscheidet das Komitee drei verschiedene Gruppen: a. Leistungen, die die normale Funktionsfa¨higkeit als Mitglied der Gemeinschaft fu¨r diejenigen Menschen wiederherstellen oder bewahren, die nicht fu¨r sich selbst sorgen ko¨nnen (z.B. Langzeitpflege, gerontopsychiatrische Versorgung, Versorgung von geistig Behinderten). b. Leistungen fu¨r die Wiederherstellung oder den Erhalt der Fa¨higkeit, an gesellschaftlichen Aktivita¨ten teilzunehmen, wenn diese akut gefa¨hrdet ist (z.B. Notfallmedizinische Versorgung, Behandlung Fru¨hgeborener, Pra¨vention von Infektionskrankheiten, akutpsychiatrische Versorgung).
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c. Leistungen, die aufgrund des Schweregrades der Erkrankung oder der Anzahl der betroffenen Patienten notwendig sind. 2. Effektivita¨t: Nur wenn die Wirksamkeit der Leistungen nachgewiesen und dokumentiert ist, werden sie in das Grundleistungspaket aufgenommen. 3. Effizienz: Maßnahmen mit einer geringen Wirksamkeit bei hohen Kosten sollten nicht in das Leistungspaket aufgenommen werden. 4. Individuelle Verantwortung: Diejenigen Maßnahmen, die auf individuellen Pra¨ferenzen beruhen (z.B. sog. Life-style-Medizin) sollen der eigenen Finanzierung u¨berlassen bleiben. Bemerkenswert ist der gemeinschaftsorientierte Ansatz zur Bestimmung der Notwendigkeit medizinischer Maßnahmen. Nicht die Wiederherstellung der individuellen Autonomie, sondern die Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben gilt als vorrangiges Ziel der Gesundheitsversorgung. Der Dunning-Report erlitt ein a¨hnliches Schicksal wie der erste norwegische Kommissionsbericht. Außerhalb des Landes erregte der Abschlussbericht betra¨chtliche Aufmerksamkeit, in den Niederlanden selbst hatte jedoch niemand den politischen Mut, das Priorisierungsmodell umzusetzen [8]. Das Kriterium der Notwendigkeit fu¨hrte zu keinen klaren Leistungsausschlu¨ssen, das relative Gewicht der Effizienz als Auswahlkriterium blieb unklar und das Kriterium der Eigenverantwortung geriet politisch in Misskredit. Entscheidungen u¨ber die Weiterentwicklung des Gesundheitswesens wurden in der Folge nicht explizit auf der ho¨chsten politischen Ebene entschieden, sondern in nachgeordneten politischen Gremien und im Gesundheitswesen selbst. Die Verlagerung von der Makro- auf die Meso- und Mikroebene ging in den Niederlanden mit einer versta¨rkten Nutzung klinischer Leitlinien und gesundheitso¨konomischer Evaluationsdaten einher. Insgesamt ist ein versta¨rktes Kostenbewusstsein zu beobachten, auch wenn es keine expliziten Entschei-
dungen auf politischer Ebene gibt, wie das Kriterium der Kosteneffektivita¨t in der Praxis genau Anwendung finden soll. Mit der Anfang 2006 in Kraft getretenen Reform des Krankenversicherungswesens setzen die Niederlande in ju¨ngster Zeit vermehrt auf Wettbewerb als Steuerungsinstrument (‘‘managed competition’’) und entfernen sich damit immer weiter von der urspru¨nglichen Zielsetzung des Dunning-Reports, die Zuteilung von Gesundheitsleistungen in einer offenen und expliziten Art und Weise zu regeln. Seit 2006 sind alle Einwohner der Niederlande verpflichtet, eine private Krankenversicherung mit einem gesetzlich regulierten Leistungspaket zu erwerben [9]. Ein Risikostrukturausgleich soll eine Risikoselektion durch die Krankenversicherer verhindern. Die Versicherungsunternehmen erhalten erweiterte Steuerungsmo¨glichkeiten (z.B. selektive Vertra¨ge mit Leistungserbringern, Gatekeeper-Modelle, integrierte Versorgung, zunehmend auch freie Preisgestaltung), um eine qualitativ hochwertige und kostengu¨nstige Versorgung fu¨r ihre Versicherten zu organisieren. Um den Bu¨rgern eine preis- und qualita¨tsbewusste Auswahl zwischen den Anbietern zu ermo¨glichen, stehen auf einer Internetseite Informationen u¨ber Leistungen, Preise, Kundenzufriedenheit und Behandlungsergebnisse der Versicherer und Leistungserbringer zur Verfu¨gung. Bereits im Jahr 2005 war in den Krankenha¨usern ein prospektives, pauschaliertes Vergu¨tungssystem eingefu¨hrt worden. Welche Auswirkungen diese wettbewerbsorientierten Reformen auf Kosten, Qualita¨t und Gerechtigkeit der Versorgung haben wird, la¨sst sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abscha¨tzen [9,10].
Großbritannien Obwohl es in Großbritannien nie einen breiten o¨ffentlichen Priorisierungs-Diskurs gab, ist der National Health Service (NHS) fu¨r den internationalen Vergleich von Interesse, da 1999 mit dem National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) eine viel beachtete Institution zur expliziten Leistungssteuerung
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US-Staat Oregon Der Oregon Health Plan (OHP) stellt einen vielbeachteten Versuch dar, Leis-
tungsbegrenzungen in der Gesundheitsversorgung nach transparenten, explizit festgelegten Kriterien vorzunehmen. Bei der ersten Priorita¨tenliste von 1990 verwendete die Oregon Health Services Commission (OHSC) einen Kosten-Effektivita¨ts-Ansatz, bei dem der Priorita¨tsgrad einer medizinischen Maßnahme aus dem Verha¨ltnis von Kosten und erwartetem medizinischem Nutzen berechnet wurde. Die OHSC wollte auf diese Weise den mit den knappen Ressourcen erzielbaren Gesundheitseffekt maximieren. Da die resultierende Rangordnung verbreiteten Intuitionen hinsichtlich der Wichtigkeit medizinischer Maßnahmen widersprach [14], u¨berarbeitete die QHSC die Priorita¨tenliste in der Folge mehrfach, wobei sie sich immer weiter von dem urspru¨nglichen Kosten-Effektivita¨ts-Ansatz entfernte [15]. Bei der ersten Revision 1991 entwickelte die OHSC auf der Grundlage der in den Bu¨rgerversammlungen ermittelten Werte 17 Leistungskategorien, die anhand dreier Kriterien priorisiert wurden: (1) Wert fu¨r das Individuum, (2) Wert fu¨r die Gesellschaft und (3) medizinische Notwendigkeit. Die Behandlungskosten wurden lediglich bei der letzten Feinabstimmung durch die Kommissionsmitglieder beru¨cksichtigt. Oregon erhielt jedoch nicht die erforderliche Medicaid-Ausnahmeregelung, da die Beru¨cksichtigung der Lebensqualita¨t bei der Bestimmung des medizinischen Nettonutzens Behinderte diskriminiere. Die im Jahr 1994 verabschiedete Priorita¨tenliste wurde in folgenden Schritten erstellt, ohne auf die Lebensqualita¨t Bezug zu nehmen: (1) Die Diagnose-Behandlungs-Kombinationen wurden nach der Wahrscheinlichkeit angeordnet, den Tod verhindern zu ko¨nnen. (2) Die verbleibenden Diagnose-Behandlungs-Kombinationen, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit den Tod verhindern ko¨nnen oder sich auf nicht lebensbedrohliche Zusta¨nde beziehen, wurden nach den durchschnittlichen (Lebenszeit-)Kosten der Behandlung angeordnet. (3) Sofern sich nach den ersten beiden Schritten noch ein Gleichstand er-
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gab, wurden die Diagnose-Behandlungs-Kombinationen alphabetisch angeordnet. Die resultierende Rangordnung der Maßnahmen wurde abschließend von der OHSC noch einmal u¨berpru¨ft und anhand subjektiver Kriterien modifiziert. In den folgenden Jahren wurde die Priorita¨tenliste mehrfach aktualisiert und weiterentwickelt. Dabei wurden Positionen auf der Liste erga¨nzt, gestrichen, zusammengefasst, unterteilt oder auf einen anderen Priorita¨tenrang verschoben. Derzeit sind 566 von 736 Maßnahmen im Deckungsumfang enthalten. Obgleich der OHP urspru¨nglich als Rationierungsinstrument geplant ’’war, wurde der Leistungsumfang der Medicaid-Versorgung tatsa¨chlich ausgeweitet. Der offene politische Diskurs u¨ber Priorita¨ten fu¨hrte offenbar nicht zu Leistungsbegrenzungen, sondern eher zu Leistungsausweitungen [16]. Entgegen der urspru¨nglichen Intention ist es Oregon nicht gelungen, durch die Aufstellung einer Priorita¨tenliste signifikante Einsparungen zu erzielen. Die Ausweitung der Medicaid-Versicherung musste deshalb u¨ber konventionelle Wege wie zusa¨tzliche Steuermittel und Einsparungen durch ManagedCare-Versorgung (implizite Steuerungsinstrumente) finanziert werden. Oregons Erfahrungen zeigen deutlich, dass ein verbindlicher Katalog von Grundleistungen keine medizinisch vernu¨nftige und ethisch akzeptable Form der expliziten Leistungsbegrenzung darstellt. Sinnvoller erscheint es, mithilfe von Leitlinien festzulegen, fu¨r welche Indikationen bestimmte Maßnahmen im Leistungspaket enthalten sind. Dem zunehmenden Kostendruck begegnete die OHSC deshalb auch nicht mit dem Ausschluss weiterer Leistungen (Verschiebung der ‘‘funding line’’), sondern mit einer evidenzbasierten Einschra¨nkung der abgedeckten Indikationen mittels Behandlungsleitlinien. ’’
etabliert wurde. Die britische Regierung entschied sich gegen eine national vorgegebene Liste von Grundleistungen und setzte stattdessen auf die systematische Evaluierung von Gesundheitsleistungen und die Entwicklung von klinischen Leitlinien. Ziel der Bemu¨hungen war nicht nur die Erho¨hung der Versorgungseffizienz, sondern – vielleicht vor allem – auch die Verbesserung der Versorgungsqualita¨t und die Verringerung von regionalen Versorgungsungleichheiten [11]. Das NICE, eine direkt dem Secretary of State for Health verantwortliche Gesundheitsbeho¨rde, erarbeitet fu¨r den NHS Empfehlungen zu drei Bereichen (www.nice.org.uk): (1) Public Health (Gesundheitsfo¨rderung und Pra¨vention) (2) Medizinische Maßnahmen (Health Technology Assessment) und (3) klinische Praxis (Leitlinien). Die evidenzbasierten Empfehlungen richten sich an alle Entscheidungstra¨ger im NHS (Leistungserbringer, Manager der Health Authorities, Praxisgemeinschaften). Neben der klinischen Effektivita¨t beurteilt NICE auch die Kosteneffektivita¨t medizinischer Maßnahmen, gemessen in den inkrementellen Kosten pro qualita¨tsgewichtetem Lebensjahr (QALY). NICE legt dabei keinen absoluten Grenzwert (maximale Kosten pro QALY) zugrunde, da hierfu¨r die empirische Basis fehlt und es viele Situationen gibt, in denen andere Werte wie z.B. die Gerechtigkeit wichtiger sind als die Effizienz [12]. Bei Kosten von u¨ber £25.000 bis £35.000 pro QALY sind aber besondere Gru¨nde erforderlich, um die Maßnahme zu akzeptieren. Das NHS setzt aber nicht nur auf die explizite, leitlinienorientierte Verbesserung von Qualita¨t und Effizienz der Versorgung, sondern auch auf implizite Steuerungsinstrumente [13]: Finanzielle Anreize fu¨r die Leistungserbringer, versta¨rkter Wettbewerb durch die Trennung von Ka¨ufern und Anbietern medizinischer Leistungen, eine prospektive Vergu¨tung im Krankenhaus und die Zulassung privater Leistungsanbieter.
Schlussfolgerungen Es gibt fu¨r das Problem der Mittelknappheit in der Gesundheitsversorgung keine einfachen Lo¨sungen
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[17]. Der einzig gangbare Weg scheint eine pluralistische Strategie zu sein, die ethisch zu bevorzugende explizite Verfahren der Priorita¨tensetzung in kluger Weise mit den pragmatisch leichter anwendbaren impliziten Steuerungsinstrumenten kombiniert. Den internationalen Ansa¨tzen zur Priorisierung liegt die U¨berzeugung zugrunde, dass es gerechter ist, allen Bu¨rgern einen Zugang zu einer begrenzten Basisversorgung zu gewa¨hren als nur einem Teil der Bevo¨lkerung unbeschra¨nkten Zugang zu allen verfu¨gbaren medizinischen Maßnahmen zu ermo¨glichen. Das deutsche GKV-System, das allen Bu¨rgern einen Zugang zur Gesundheitsversorgung ermo¨glicht, erscheint vor diesem Hintergrund besonders bewahrenswert. Nach u¨bereinstimmender Einscha¨tzung der Priorita¨tenkommissionen sind explizite Priorisierungen einer impliziten und ha¨ufig verdeckten Rationierung vorzuziehen. Da der Nutzen einer medizinischen Maßnahme wesentlich von der jeweiligen Indikation abha¨ngt, sollte man nicht einzelne Leistungen, sondern Kombinationen aus Leistungen und ihren Einsatzgebieten priorisieren. Als Instrumente bieten sich z.B. Leitlinien an, die auf der Grundlage der verfu¨gbaren Evidenz die Indikationen medizinischer Maßnahmen auf diejenigen Patientengruppen einschra¨nken, die am meisten von ihnen profitieren und damit Priorita¨t bei der Versorgung genießen sollten. Nationale Versorgungsleitlinien sollten von einer unabha¨ngigen Kommission wie z.B. dem britischen NICE vorbereitet werden. Eine analoge Funktion ko¨nnte in Deutschland dem Institut fu¨r Qualita¨t und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) zukommen. Da eine explizite, leitlinienorientierte Priorisierung methodisch aufwa¨ndig ist, lassen sich implizite Steuerungsinstrumente zur Kostenda¨mpfung (prospektive Vergu¨tungssysteme und Zuzahlungen fu¨r Patienten) kaum vermeiden.
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Die Entwicklung allgemeiner Priorisierungs-Grundsa¨tze auf nationaler Ebene weckt das Bewusstsein in der Bevo¨lkerung und stimuliert die o¨ffentliche Diskussion u¨ber die Gestaltung des Gesundheitswesens unter Knappheitsbedingungen. Da die Notwendigkeit expliziter Auswahlentscheidungen in der Gesundheitsversorgung derzeit in der deutschen O¨ffentlichkeit kaum pra¨sent ist, erscheint es sinnvoll, auf nationaler Ebene einen allgemeinen gesellschaftspolitischen Diskurs zu starten, der den Boden fu¨r konkretere Priorisierungs-Maßnahmen bereitet. Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass es sich bei der Priorisierung um einen la¨ngerfristigen Prozess handelt. Hierfu¨r mu¨ssen entsprechende Institutionen geschaffen werden, die zum einen die wissenschaftliche Evidenz u¨ber Nutzen und Kosten medizinischer Maßnahmen bewerten und zum anderen den politischen Diskurs unter geeigneter Partizipation der O¨ffentlichkeit dauerhaft implementieren. Eine effektive Priorita¨tensetzung kann nur in Kooperation mit medizinisch-wissenschaftlichen Experten und der A¨rzteschaft gelingen. Ein noch so gut ausgearbeitetes und begru¨ndetes Priorisierungs-Modell ist zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht von den verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen mitgetragen wird. Betrachtet man die ethischen Prinzipien, die in den internationalen Priorisierungen zugrunde liegen, so findet man eine bemerkenswerte Konvergenz. Dies weist darauf hin, dass nicht die Formulierung ethischer Grundwerte das Hauptproblem bei der Priorisierung darstellt, sondern die fallbezogene Operationalisierung und Abwa¨gung derselben. Folgende Kriterien lassen sich als normative Grundlage der Priorita¨tensetzung rekonstruieren [18]: 1. Medizinische Bedu¨rftigkeit (‘‘need’’): Schweregrad der Erkrankung, Dringlichkeit der Behandlung, 2. Individueller medizinischer Nutzen der Maßnahme und
3. Kosteneffektivita¨t nahme.
der
Maß-
Es besteht international weitgehende U¨bereinstimmung, dass auch die Effizienz bei der Allokation knapper Gesundheitsressourcen zu beru¨cksichtigen ist. In der Regel wird dabei kein absoluter Grenzwert festgelegt, da dieser nur schwer zu begru¨nden ist und keinen Raum fu¨r andere Kriterien la¨sst. Die Herausforderung in der Praxis besteht folglich darin, das Kriterium der Kosten-Effektivita¨t mit den anderen Kriterien – medizinische Bedu¨rftigkeit und individueller Nutzen – abzuwa¨gen [6].
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AkdA¨: EU-Industriekommissar will Informationsverbot fu¨r verschreibungspflichtige Arzneimittel aufheben
Die Europa¨ische Kommission hat am 10. Dezember 2008 in Bru¨ssel das seit Monaten angeku¨ndigte Pharmapaket vorgestellt. Dieses entha¨lt unter anderem einen Richtlinienentwurf /http://www.akdae.de/49/ 2008-131PDF1.pdfS, nach dem in Zukunft pharmazeutische Unternehmen sich mit Informationen u¨ber verschreibungspflichtige Arzneimittel direkt an interessierte Patienten wenden ko¨nnen. Diese Richtlinie soll nach Aussage des fu¨r die Unternehmens- und Industriepolitik zusta¨ndigen Vizepra¨sidenten der Kommission, Gu¨nter Verheugen, garantieren, dass die Menschen optimal u¨ber das Arznei’’ mittel- und Therapieangebot informiert werden (http://www.akdae.de/49/ 2008-131PDF2.pdf). Der Entwurf soll laut der Kommission eine Lu¨cke im derzeit gu¨ltigen Gemeinschaftskodex Humanarzneimittel schließen und zielt darauf ab, einen klaren Rahmen fu¨r die Bereitstellung von Informationen zu schaffen, die pharmazeutische Hersteller u¨ber ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel an die breite O¨ffentlichkeit weitergeben du¨rfen. Gleichzeitig soll durch diesen Vorschlag gewa¨hrleistet sein, dass die direkt an den Verbraucher gerichtete Werbung fu¨r verschreibungspflichtige Arzneimittel untersagt bleibt. Um zuku¨nftig unterscheiden zu ko¨nnen zwischen Information , die erlaubt, und Wer’’ ’’ bung fu¨r verschreibungspflichtige Arzneimittel, die weiterhin untersagt bleiben soll, entha¨lt der Entwurf zahlreiche A¨nderungen der Richtlinie 2001/83/EG, insbesondere verschiedener Artikel des Titels VIII in dieser Richtlinie zur Werbung, und der entsprechenden Verordnung Nr. 726/2004. Die Richtlinie knu¨pft an solche, zuku¨nftig erlaubten Informationen zu verschreibungs’’ pflichtigen Arzneimitteln eine Vielzahl von Bedingungen, die sich im Wesentlichen dahingehend beschreiben lassen, dass derart qualitativ hochwertige Informationen sich ’’ dann an die europaweit einheitlich geltenden
gesetzlichen Vorgaben halten mu¨ssen, und die Inhalte qualitativ nicht hinter den in der Zulassung definierten Angaben (z.B. Gebrauchsinformation fu¨r A¨rzte und Patienten) zuru¨ckstehen oder ihnen gar widersprechen du¨rfen. Erlaubt sind die Weitergabe von Informationen u¨ber das Internet oder Printmedien, aber nur wenn sie angefordert oder abgefragt werden (sog. Pull-Information), und die direkte Beantwortung von Anfragen. Gleichzeitig verbietet die Richtlinie u¨ber Radio oder Fernsehen verbreitete Informationen. Die Inhalte, Qualita¨tsstandards und Verbreitung der Informationen unterliegen laut Richtlinienentwurf grundsa¨tzlich der U¨berwachung durch den jeweiligen Mitgliedsstaat. Dieser soll auch geeignete Methoden zur Durchsetzung der Richtlinie und Verhinderung von Missbrauch etablieren. Die von der EU-Gesundheitskommissarin, Frau Androulla Vassiliou, eingebrachten A¨nderungsvorschla¨ge, insbesondere eine generelle Vorabgenehmigung der Patienteninformation durch die jeweiligen Aufsichtsbeho¨ren der Mitgliedsstaaten, wurden im jetzt vorgelegten Richtlinienentwurf unzureichend umgesetzt. So soll eine U¨berwachung der Patienteninformationen erst nach deren Verbreitung durch die pharmazeutischen Hersteller erfolgen. Ausgenommen von dieser Regelung sind die im zentralisierten Verfahren durch die Europa¨ische Arzneimittelagentur (EMEA) zugelassenen Arzneimittel, bei denen vorab eine U¨berwachung der Informationen vorgesehen ist, und gewisse Situationen, in denen nicht eindeutig zwischen Werbung und werbefreier Information unterschieden werden kann und deshalb eine Vorabgenehmigung notwendig ist. Die Arzneimittelkommission der deutschen A¨rzteschaft (AkdA¨) lehnt diesen Richtlinienentwurf zur Patienteninformation u¨ber verschreibungspflichtige Arzneimittel ab. Bereits in ihrer Stellungnahme /http://www.akdae.
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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen 103 (2009) 85–91 www.elsevier.de/zefq
The Global Challenge of Health Care Rationing. Buckingham: Open University Press; 2000. p. 233–51. [18] Zentrale Kommission zur Wahrung ethischer Grundsa¨tze in der Medizin und ihren Grenzgebieten (Zentrale Ethikkommission) bei der Bundesa¨rztekammer. Priorisierung medizinischer Leistungen im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Deutsches A¨rzteblatt 2007;104(40): A-2750–4.
Magazin
de/46/20080407.pdfS vom April 2008 zum Konsultationspapier der Europa¨ischen Kommission zur A¨nderung der Richtlinie 2001/83/EG u¨ber Arzneimittel-Patienteninformation hatte die AkdA¨ ausfu¨hrlich auf die Risiken hingewiesen, die aus einer Ausweitung der Informationsmo¨glichkeiten der Industrie resultieren. Auch der jetzt vorgelegte Richtlinienentwurf wird nicht verhindern ko¨nnen, dass die pharmazeutischen Hersteller mit direkter Patienteninformation auch eigennu¨tzige Ziele verfolgen und durch U¨berschreitung der unscharfen Grenze zur Werbung Informationen auch als Bestandteil ihres strategischen und operativen Marketings fu¨r Arzneimittel nutzen. Dadurch wu¨rden die Umsetzung einer rationalen Pharmakotherapie und die Arzneimitteltherapiesicherheit gefa¨hrdet. Die AkdA¨ appelliert deshalb an das EU-Parlament und den EU-Rat, dem von Herrn Verheugen propagierten Richtlinienentwurf eine klare Absage zu erteilen, und den pharmazeutischen Unternehmen nicht die Mo¨glichkeit einzura¨umen, zunehmend Einfluss auf das Verbraucherverhalten der Bu¨rger und Patienten in der EU zu gewinnen. Stattdessen sollten versta¨rkt nationale Bemu¨hungen unterstu¨tzt werden, die fu¨r Bu¨rger und Patienten auf eine Bereitstellung unabha¨ngiger, versta¨ndlicher und vergleichender Informationen u¨ber verschreibungspflichtige Arzneimittel durch A¨rzte, Apotheker und andere Gesundheitsdienstleister abzielen.
Korrespondenzadresse: Arzneimittelkommission der deutschen A¨rzteschaft Herbert-Lewin-Platz 1 10623 Berlin Tel.: +49 30 400456-500 Fax: +49 30 400456-555 E-Mail:
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