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November 2008. http://www.hpm.org/sur vey/us/a12/3, Zugriff am 15.10.2009. [7] Busse R, Figueras J, Robinson R, Jakubowski E. Strategic Purchasing to Improve Health Systems Performance: Key Issues and
International Trends. Healthcare Papers 2007;8(Sp):62–76.
Schwerpunkt I: Grundsatzreferate – erster Teil
Wettbewerb im Gesundheitswesen – politische Intentionen$ Franz Knieps Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung, Gesetzliche Krankenversicherung, Pflegesicherung im Bundesministerium fur ¨ Gesundheit, Berlin/Bonn
Zusammenfassung ¨ Im korporatistisch gepragten deutschen Gesundheitswesen wurden in den ¨ impleletzten 20 Jahren schrittweise wettbewerbliche Steuerungsansatze mentiert. Dies gilt insbesondere fur ¨ die Ordnung der Kassenorganisation, ¨ ¨ die bewusst von einem standisch gepragten Zuweisungssystem in die Kassenwahlfreiheit uberf ¨ uhrt ¨ worden ist. Dementsprechend wurden das Mitgliedschafts-, Beitrags- und Leistungsrecht angepasst und eine neue Finanzverfassung mit einem kassenartenubergreifenden ¨ Risikostrukturaus¨ gleich etabliert. Wettbewerbliche Gestaltungsmoglichkeiten in der Versor-
gungspolitik betreffen nicht nur die Kassen selbst, sondern beruhren ¨ auch ¨ die Beziehungen zu den Leistungserbringern sowie das Verhaltnis der Leistungserbringer untereinander. Das gilt speziell fur ¨ Rolle und Funktion ¨ ¨ der Kassenarztlichen Vereinigungen. Das Verhaltnis von Kollektivvertrag zu ¨ Bei einer Fortentwicklung der Einzelvertrag ist dabei bis heute ungeklart. ¨ ¨ wettbewerblichen Steuerungsansatze sind Moglichkeiten und Grenzen des Wettbewerbs auszuloten und viele Detailfragen – wie zum Beispiel die ¨ Ausgestaltung des Sicherstellungsauftrages – zu klaren.
Schlusselw orter: ¨ Wettbewerb; Krankenkassen; Kassenwahlfreiheit; Risikostrukturausgleich; Gesundheitsfonds; Vertragswettbewerb; Steuerung ¨
Competition in healthcare – political intentions Summary Over the last 20 years strategies introducing regulated competition have gradually been implemented in the corporatistically structured German healthcare system. In particular, this applies to the structure of health insurance organisation where the corporatively organised allocation system has deliberately been transformed to ensure health insurance choice. Accordingly, the laws governing membership, health insurance premiums and health benefits have been adapted and new rules for public finance including a risk structure compensation scheme encompassing the different kinds of health insurances have been established. The options for competition arising in the area of health service provision do not only
affect the health insurance companies themselves, but also the relations to the providers of healthcare as well as their relationship with each other. This holds especially true of the role and function of the (regional) physicians’ associations. The relation between collective agreements and individual contracts is still unclear. With the further development of strategies introducing regulated competition the possibilities and limitations of competition will have to be explored and many details – such as, for example, the implementation of the responsibility for ensuring the provision of healthcare services – need to be resolved.
Key words: competition; health insurance companies; health insurance choice; risk structure compensation scheme; health fund; contractual competition; governance $
¨ ¨ Der Beitrag gibt die personliche Auffassung des Verfassers wieder. Es ist keine Meinungsaußerung des Bundesministeriums fur ¨ Gesundheit.
Korrespondenzadresse: Franz Knieps, Leiter der Abteilung Gesundheitsversorgung, Gesetzliche Krankenversicherung, Pflegesicherung im Bundesministerium fur ¨ Ge-
sundheit, Berlin/Bonn. Dienstsitz Bonn: Hausanschrift: Rochusstraße 1, 53123 Bonn, Postanschrift: 53107 Bonn. Tel.: 0228 941-2000 (2001). Dienstsitz Berlin: Hausanschrift: Friedrichstraße 108, 10117 Berlin, Postanschrift: 11055 Berlin. Tel.: 030 20640-1330 (1331). E-Mail:
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ARTICLE IN PRESS Die Frage nach der politischen Intention einer Wettbewerbsorientierung im Gesundheitswesen ist ohne einen Blick in die Historie nicht zu beantworten. Dies gilt sowohl fur ¨ Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Krankenversicherungs¨ tragern als auch fur ¨ Wettbewerb zwischen Leistungserbringern. Rund 100 Jahre ist die Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eng ¨ mit der standischen Ordnung des Ar¨ beitslebens verknupft. Bis 1996 entschieden allein Status, Branche oder Beruf, ob Versicherte uberhaupt ¨ die Wahl zwischen verschiedenen Kranken¨ kassen hatten. Wahrend Arbeiter in aller ¨ Regel den so genannten Primarkassen ¨ (AOK, BKK, IKK) ohne Wahlmoglichkeiten zugewiesen wurden, konnten Angestellte (und einige wenige Berufsgruppen bei den Arbeitern) ein Wahlrecht zu Ersatzkassen ausuben. ¨ ¨ Wahrend die Barmer und die DAK alle Angestellten aufnahmen, waren die TK lediglich fur ¨ technische Angestellte oder ¨ die KKH fur ¨ kaufmannische Angestellte ¨ wahlbar. Geschlossene Sondersysteme ¨ Bergleute, Seeleute und bestanden fur landwirtschaftliche Unternehmer. Nur ¨ gut verdienende Angestellte, Selbstandige und Beamte hatten – nach Risikoprufung ¨ – ein Zugangsrecht zur privaten Krankenversicherung (PKV).
Wettbewerb zwischen Krankenkassen – von der ¨ standischen Ordnung zur Kassenwahlfreiheit ¨ Diese Wahlrechtsbeschrankungen und ¨ Kassenzugehorigkeitsmerkmale ließen ¨ ¨ sich mit der Auflosung standischer Strukturen und der Gleichstellung von Arbeiter und Angestellten weder sozialpolitisch noch verfassungsrechtlich ausreichend begrunden, ¨ zumal ab den 70er Jahren die Beitragssatzunterschiede zwischen Kassen und Kassenarten stetig angestiegen waren. Zudem ¨ wurde in der Gesundheitsokonomie seit Ende der 70er Jahre eine intensive ¨ ¨ ordnungsDebatte uber grundsatzliche politische Steuerungsfragen im Gesundheitswesen gefuhrt. ¨ Nicht nur Ge¨ sundheitsokonomen, wie der Berliner Finanzwissenschaftler Klaus-Dirk Henke
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oder der Bayreuther O¨konom Peter Oberender oder der Munchner ¨ Ge¨ sundheitsokonom Gunter ¨ Neubauer, ¨ ¨ eine starkere wettbesprachen sich fur werbliche Ausrichtung der Krankenversicherung aus. Daraus entwickelte sich wissenschaftlich und politisch ¨ eine breite Uberzeugung, wesentliche Strukturprobleme des Gesundheitswesens ließen sich am besten uber ¨ eine ¨ Intensivierung des Wettbewerbs losen. ¨ politischen DiskusNach langjahrigen sionen und einem Grundsatzrechtsstreit zum Bundesverfassungsgericht entschied sich der Gesetzgeber 1992 ¨ im rheinischen Stadtchen Lahnstein dafur, ¨ den uberkommenden ¨ Mix aus ¨ Zuweisungen und Wahlmoglichkeiten zugunsten einer auf der Wahlentscheidung des Versicherten beruhenden Ordnung des Organisationsgefuges ¨ der ¨ GKV abzulosen. (Fast) alle Versicherten ¨ sollten (fast) alle Krankenkassen wah¨ ¨ len konnen. Uberkommene Unterschiede zwischen Kassen und Kassenarten in Mitgliedschafts-, Beitrags-, Leistungsund Organisationsrecht wurden schrittweise zugunsten einer einheitlichen, wettbewerblich ausgestalteten Ordnung abgebaut. Allein die Kassenwahlentscheidung sollte kunftig ¨ Existenz ¨ einer Krankenkasse legitiund Große mieren. Zwar wurden einige Rucksich¨ ten auf die Interessen spezieller Kassensysteme genommen. So wurden beispielsweise Betriebs- und Innungskrankenkassen nicht generell durch ¨ den Gesetzgeber geoffnet. Dies konnte die jeweilige BKK oder IKK selber entscheiden. Die Bundesknappschaft, die See-Krankenkasse und landwirtschaftliche Krankenkassen blieben als (geschlossene) Sondersysteme vorerst erhalten. Mittlerweile haben Knappschaft und See-Krankenkasse fusioniert und ¨ sind auch fur ¨ Externe wahlbar. Alle Innungskrankenkassen und allermeisten Betriebskrankenkassen haben sich fur ¨ den Wettbewerb geoffnet. ¨ Nur wenige BKK’s und die landwirtschaftlichen Krankenkassen bleiben geschlossene Systeme.
Der kassenubergreifende ¨ Risikostrukturausgleich als Kern der Wettbewerbsordnung Mit der Einfuhrung ¨ der Kassenwahlfreiheit zum 1. Januar 1996, dem die Ab¨ schaffung des manupulationsanfalligen ausgabenorientierten Finanzausgleichs in der Krankenversicherung der Rentner und die schrittweise Einfuhrung ¨ eines kassenartenubergreifenden ¨ Risikostrukturausgleiches (RSA) vorange¨ gangen waren, anderten sich die Bedingungen fur ¨ das Kassenhandeln er¨ heblich. Unter den alten standischen ¨ Bedingungen hatten die Primarkassen kontinuierlich Mitglieder an die Ersatz¨ kassen verloren. Der Ubergang vom Arbeiter zum Angestellten markierte einen gesellschaftlichen Aufstieg. Folglich war die Kassenmitgliedschaft auch eine Frage des Sozialprestiges, obwohl das durchschnittliche Beitragssatzniveau bei den Angestellten-Ersatzkassen noch bis in die 80er Jahre oberhalb des ¨ Niveaus der Primarkassen lag. Der Gesetzgeber erwartete, dass mit Wahlfreiheit und Risikostrukturausgleich strukturelle Unterschiede zwischen den Versichertenpopulationen angeglichen und damit auch Beitragssatzunterschiede weitgehend verschwinden wurden. ¨ Zumindest in den ersten Jahren wurde diese Erwartungshaltung prinzipiell erfullt. ¨ Besonders gunstige ¨ oder besonders teure Kran¨ kenkassen naherten sich dem Durchschnittniveau. Auch zwischen den beiden großen Kassenarten, den AOK’s und den Ersatzkassen, entwickelte sich rasch ein vergleichbares Beitragssatzniveau. Apokalyptische Vorhersagen, es ¨ wurden ¨ jahrlich Millionen von Mitgliedern ihre Kasse wechseln, erwiesen sich als falsch. Die Zahl der Kassenwechsler fiel von anfangs 5% auf unter 2% pro Jahr. Allerdings trog die Erwartungshaltung, Mitgliederbewegungen wurden ¨ auch zu einer Durchmischung der Risikostruktur bei allen Kassen fuhren, ¨ und Wettbewerb werde die Effizienz des Kassenhandels steigen. Vielmehr wurde schnell sichtbar, dass vor allem junge, wohlhabende und gesunde Mitglieder
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ARTICLE IN PRESS ihre Kasse verließen und ihre Wahlentscheidung uberwiegend ¨ nach dem Preis trafen. Dies begunstigte ¨ preiswerte Betriebs- und Innungskrankenkassen, deren geschlossene Kollektive bei einer nach Marktgesichtspunkten gestaltbaren O¨ffnung fur ¨ viele Versicherte attraktive Beitragssatzfestlegungen zumindest fur ¨ eine gewisse Zeit ¨ ermoglichten. Dabei kam es jedoch ¨ nicht selten zu gewaltigen okonomischen ¨ So wurden die Fehleinschatzungen. Transaktionskosten des Wettbewerbs ¨ ¨ vernachlassigt und die okonomische Fixierung auf die Bedurfnisse ¨ relativ Ge¨ sunder unterschatzt. Knappe Ressourcen des Gesundheitswesens wurden deshalb an den falschen Stellen ausgegeben. Umgekehrt hat der Wettbewerb durchaus Innovationsbereitschaft, ¨ und Effektivitat ¨ gefordert. ¨ Qualitat ¨ wohl Ohne Kassenwahlfreiheit ware ¨ noch in mancher Geschaftsstelle ein Gitter vor den Schaltern. Monopolisten und Oligopolisten neigen selten dazu, ¨ zu verbessern. die Servicequalitat Trotz steigender Umverteilung zwischen den Kassen und Kassenarten entzundete ¨ sich bald nach Inkrafttreten der neuen Wettbewerbsordnung ¨ Kritik an deren Mangeln. Zum Einen wurde kritisiert, dass allein Betriebsund Innungskrankenkassen neue Kassen grunden ¨ durften und damit die ¨ Marktverhaltnisse beeinflussen konn¨ ¨ ten. Neugrundungen, Ausgrundungen und Fusionen bestimmten bei diesen ¨ Kassenarten den Wettbewerb starker ¨ als herkommliche Mitgliederbewegungen zwischen etablierten Krankenkassen. Kritisch wurde auch die Ausrichtung vieler dieser Kassen als so genannte virtuelle Krankenkassen gesehen, die weder einen leicht erreichbaren Zugang noch eine ortsnahe Betreuung anbieten. Abschreckende Beispiele zur Abwehr schlechter Risiken ¨ finanzielle Schieflaund spektakulare gen haben deshalb den Gesetzgeber wiederholt zur Intervention animiert. ¨ Weil die Moglichkeiten, den Wettbe¨ werb uber das Organisationsrecht der Krankenkassen zu steuern, begrenzt sind, ruckte ¨ nach Implementierung und ¨ verfassungsrechtlicher Bestatigung die Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleiches in den Fokus der wissen-
schaftlichen und politischen Diskussion. Um Fehlsteuerungen des Wettbe¨ werbs entgegen zu wirken, verstandigten sich die Spitzenverb¨ande der Krankenkassen und das BMG bereits 2001 auf eine mehrstufige Reformagenda fur ¨ den Risikostrukturausgleich. Als ¨ ¨ Ubergangsl osung bis zu einer direkten ¨ Morbiditatsorientierung im RSA wurden ein Risikopool fur ¨ besonders teure Risiken geschaffen und die strukturier¨ chroten Behandlungsprogramme fur nisch Kranke – so genannte DiseaseManagement-Programme – im Risikostrukturausgleich gesondert beruck¨ sichtigt. Nach vielen politischen Quere¨ len zwischen Bund und Landern konnte ¨ eine direkte Morbiditatsorientierung ¨ erst mit dem GKV-Wettbewerbsstarkungsgesetz (GKV-WSG) realisiert werden. Mit dem Umweg uber ¨ den Gesundheitsfonds werden nunmehr 100% der Kasseneinnahmen ausgeglichen und auf der Ausgabenseite fur ¨ 80 Krankheiten die Krankheitslasten fairer verteilt. Niemand darf sich aber der Illusion hingeben, damit wurden ¨ die ¨ ¨ ausgeglivollstandig Morbiditatslasten chen werden. In einem Risikostruktur¨ ausgleich sind nur Annaherungen an das gewunschte ¨ Ziel denkbar, den Wettbewerb von Anreizen zur Risikoselektion zu befreien und auf die Parameter Qualit¨at und Effizienz auszurichten.
Die Anpassung der GKVFinanzverfassung an die neue Wettbewerbsordnung Zugleich hat der Gesetzgeber die Finanzverfassung der GKV an diese ¨ Veranderungen angepasst. Er hat einen Gesundheitsfonds mit einem ein¨ heitlichen Beitragssatz eingefuhrt und den Preiswettbewerb auf einen positiven oder negativen Zusatzbeitrag be¨ schrankt. Ein solcher Zusatzbeitrag, der nach Disposition der jeweiligen Kassen prozentual oder als Fixbetrag ausgestaltet sein kann, wird mit Sicherheit ¨ ein starkeres Preissignal aussenden als der bisherige prozentuale Beitragssatz, ¨ dessen genaue Hohe den wenigsten Versicherten bewusst ist. Ein erheblicher Teil der Kritik am Gesundheitsfonds ist nur aus der Paralyse heraus
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¨ erklarbar, ein Vergleich uberschaubarer ¨ ¨ konne ¨ ¨ Versicherte Beitrage selbst trage zum Kassenwechsel motivieren. Um in der Startphase des Fonds Zusatz¨ zu vermeiden, werden Kranbeitrage kenkassen alle Anstrengungen unter¨ nehmen, samtliche Wirtschaftlichkeitspotentiale zu erschließen. Dabei wird es ¨ nur selten zu Einschrankungen von Leistungen oder zur Kundigung ¨ inno¨ vativer Vertrage kommen. Solche ¨ ¨ KrankenkasMaßnahmen durften fur sen keine realistische Option sein, denen eine Abstimmung mit den Fußen ¨ und eine wachsame O¨ffentlichkeit droht. Andere Branchen reagieren auf ¨ erhohten Wettbewerbsdruck mit Pro¨ duktivitatssteigerungen und Innovationen. Ich prognostiziere deshalb, dass die meisten Krankenkassen versuchen werden, im Rahmen der nach dem ¨ neuen Leistungsrecht moglichen Tarifdifferenzierungen diverse Varianten anzubieten. Um einen schleichenden Ausstieg der Krankenkassen aus familienoder sozialpolitisch motivierten Leistungen zu begegnen, hat der Gesetzgeber alle Leistungen der Rehabilitation, Eltern-Kindkuren und Impfungen zu Pflichtleistungen deklariert und ein umfassendes Berichtswesen als Control¨ ling-Instrument fur ¨ die tatsachliche Inanspruchnahme und Bewilligungspraxis etabliert. Die Erwartungen der Politik gehen also nicht dahin, dass es zu ei¨ Dumpingwettbewerb nem ruinosen der Krankenkassen kommt. Vielmehr erwartet die Politik, dass das Preis-Leis¨ tungs-Verhaltnis und die kassenspezifischen Akzente in der Versorgungpolitik ¨ starker in den Fokus der Kassenwahl¨ entscheidung rucken. ¨ Damit konnen große Versorgerkassen wieder attraktiver werden, wenn sie ihre Einkaufsmacht und ihr Innovationspotential einsetzen, um differenzierte Bedarfe und Bedurfnisse ¨ ihrer Versichertenpopulation zu befriedigen.
Wettbewerbliche ¨ Gestaltungsmoglichkeiten im Leistungsrecht und in der Versorgungspolitik ¨ und WirtFur ¨ eine solche auf Qualitat schaftlichkeit ausgerichtete wettbe-
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ARTICLE IN PRESS werbliche Orientierung der Krankenkassen kommt es entscheidend auf die ¨ Gestaltungsmoglichkeiten gegenuber ¨ ih¨ den Leisren Versicherten und gegenuber tungserbringern an. Das GKV-WSG ¨ schafft hierzu viele Moglichkeiten. Es flexibilisiert die Beziehungen zwischen Krankenkassen und ihren Mitgliedern. Neben dem Normaltarif mit Sachleistung wird der Versicherte von der jeweiligen Kasse auch autonom gestal¨ ¨ Diese konnen. tete Wahltarife wahlen ¨ konnen anstelle der Sachleistungen z.B. Kostenerstattung anbieten. Auch ¨ konnen Krankenkassen Angebote von Wahlleistungen (z.B. Auslandskrankenversicherung, Zahnersatz, Chefarztbehandlung, Ein- oder Zweitbettzimmer) machen, die bisher allein der PKV vor¨ behalten waren. Schließlich konnen ¨ Krankenkassen starker mit privaten Krankenversicherungen kooperieren. Fur ¨ die Intensivierung des Wettbewerbes um eine qualitativ bessere und effizientere Versorgung, durften ¨ vor al¨ lem die erweiterten Vertragsmoglichkeiten in den besonderen Versorgungs¨ formen sorgen. Uber die Neugestal¨ tung des y 73b SGB V zur flachendeckenden Verpflichtung der Krankenkas¨ sen, Hausarztvertrage abzuschließen und den Versicherten entsprechende Angebote zu unterbreiten, will ich hier kein Wort verlieren. Zu bizarr sind Entstehungsgeschichte und Inhalt dieser Vorschrift. Allerdings ist dabei auch zu berucksichtigen, ¨ dass die Mehrheit der ¨ Facharzte in den Gremien der Kas¨ senarztlichen Vereinigungen uber ¨ Jahrzehnte wesentlich zur Abwertung der ¨ ¨ hausarztlichen Tatigkeit beigetragen haben. Interessanter sind fur ¨ wettbewerbliche Gestaltungsformen so genannte Preferred-Provider-Tarife. Das heißt, Versicherte, die sich einem intensiverem Care- und Case-Management ihrer Kasse oder von ihrer Kasse beauftragten Organisationen freiwillig anvertrauen, sollen hierfur ¨ tarifliche Anreize erhalten. Damit wird eine Brucke ¨ zwischen Leistungsrecht und Vertragsrecht geschlagen. Entscheidende Frage wird sein, ob solche Tarife sich aus sich selber rechnen. Eine Quersubventionierung der Wahltarife ist ausdrucklich ¨ verboten. Da mehr Angebot und Wettbewerb allgemein nicht
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unbedingt mehr Transparenz bedeuten, wird auf Verbraucherschutzer, ¨ Patientenvertreter und Journalisten neue Arbeit zukommen.
¨ fur Mehr Flexibilitat ¨ Leistungserbringer ¨ Die wettbewerbsfordernde Wirkung von neuen Versorgungstarifen ist ge¨ nerell davon abhangig, dass Krankenkassen und Leistungserbringer das Ver¨ sorgungsgeschehen starker als Prozess begreifen und im Hinblick auf bessere Outcomes effizienter steuern. In Konkurrenz zum Kollektivvertrag werden hierzu vermehrt Individual- und Gruppenvereinbarungen die Grundlage bilden. Mit der Pflegereform wurden Anreize zur besseren Honorierung besse¨ (Pay for Performence) rer Qualitat geschaffen. Insgesamt wird die einzelwirtschaftliche Ebene gegenuber ¨ dem traditionellen korporatistischen Ge¨ flecht gestarkt. Auf Seiten der Kassen ¨ konnen neue Verbunde ¨ entstehen und auch Dritte – z.B. Managementgesellschaften – eingesetzt werden. Auf Seiten der Leistungserbringer hat vor al¨ lem das Vertragsarztrechtsanderungsgesetz aus dem Jahr 2006 den Weg frei gemacht fur ¨ neue Kooperations-, Organisations- und Betriebsformen der ¨ Arzte. Zudem wurde mit dem GKVWSG die Trennung zwischen ambulan¨ Versorgung, speziell ter und stationarer bei hochspezialisierten Behandlungen und seltenen Erkrankungen, weiter ¨ aufgelockert. Damit konnen sich auf allen Seiten neue Konfigurationen ergeben, auch wenn mit der Krankenhausreform die anvisierte wettbewerbliche Auflockung der Krankenhausversorgung ausgeblieben ist.
Die Kehrseite der Medaille Wettbewerb Bei aller positiver Bewertung der politischen Intentionen des Gesetzgebers ¨ zum Thema Wettbewerb, durften einige strukturelle Nachteile naturlich ¨ nicht aus dem Auge gelassen werden. Wettbewerb ist das ubliche ¨ Steuerungsinstrumentarium fur ¨ Wirtschafts-
branchen in Deutschland. Das Gesund¨ heitswesen ist die großte Wirtschaftsbranche mit rund 4,3 Millionen Be¨ ¨ und je und Selbstandigen schaftigten nach Rechnung 11%–13% des Bruttoinlandsproduktes. Allein uber ¨ die ¨ GKV werden 170 Milliarden Euro jahrlich umgesetzt. Hinzu treten weitere ¨ Finanzierungstrager vom Staat bis zum Privathaushalt. Gesundheit und Krankheit sind aber nicht mit den ublichen ¨ Waren und Dienstleistungen in der Volkswirtschaft vergleichbar. Marktmechanismen funktionieren im Gesundheitswesen nicht so wie in anderen Branchen. Die Idealvorstellung liberaler O¨konomen, dass sich zwei Seiten gleichberechtigt gegenuber ¨ stehen und Bedingungen aushandeln, existiert weder in den Beziehungen zwischen Krankenkasse und Versicherten noch ¨ im Verhaltnis von Kassen zu den Leistungserbringern noch in der Relation Versicherter – Leistungserbringer. Alle Beziehungen sind asymmetrisch ausgestaltet. Am ehesten wird man gleich¨ starke Verhaltnisse zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern schaf¨ fen konnen. Der Versicherte, respektive der Patient, wird stets in einer ¨ ¨ schwacheren Position sein, wahrend der Anbieter von Versicherungen oder Gesundheitsleistungen stets dominie¨ und Inren wird. Auch Komplexitat transparenz des Gesundheitswesens erschweren wettbewerbliche Steuerungs¨ ansatze. Wettbewerb sorgt zudem nicht fur ¨ ¨ Gleichheit im System, sondern fordert Ungleichheit, zumal Krankheit und Gesundheit schon aufgrund sozialer Schichtung, Herkunft, Bildung, Einkommensniveau etc. unterschiedlich verteilt sind. Von daher ist Wettbewerb nicht unbedingt ein Instrument, gleichen Zugang oder gar gleiche Ergebnisse im Gesundheitswesen zu ¨ gewahrleisten. Wettbewerb funktioniert vor allem da, wo es ein gewisses ¨ Uberangebot an Krankenkassen oder Leistungserbringern gibt. Wo nur eine Versicherung vertreten ist, wo nur ein oder wenige Leistungserbringer ihre Angebote machen, besteht wenig Raum fur ¨ Konkurrenz. Schließlich muss es einheitliche Spielregeln fur ¨ alle Wettbewerber geben. Im korporatischen
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ARTICLE IN PRESS System bestimmen die Wettbewerber aber oft die Spielregeln selbst und die ¨ Aufsichtsbehorden agieren mit unterschiedlicher Ausstattung und unterschiedlicher Kontrolldichte im Bund ¨ und Landern. Noch wenig Erfahrung besteht mit der Geltung von wettbewerbs- und kartellrechtlichen Vorschriften im Gesundheitswesen. Konkrete Beispiele aus der Fusionskontrolle von ¨ Krankenhausern oder bei der Ausschreibung von Arznei- und Hilfsmitteln lassen erhebliche Zweifel offen, ob diese Form von Regularien den Besonderheiten des Gesundheitswesens angemessen erscheint.
Das Thema Wettbewerb wird daher weiter auf der Tagesordnung wissenschaftlicher und politischer Diskussionen stehen. So muss in der kommen¨ den Legislaturperiode das Verhaltnis von einzelwirtschaftlichen Wettbewerb ¨ zu korporatistischen Kollektivvertragen und staatlicher Regulierung (auch durch Selbstverwaltungsinstitutionen) neu justiert werden. Wer wirklich das Thema integrierte Versorgung vorantreiben will, muss die Sektorengrenzen bei der Bedarfsplanung und bei der Honorierung von Leistungen uberwin¨ den. Daneben steht das Thema Neuorganisation der Aufsicht und Fortset-
zung der Organisationsreform, speziell auf der Landesebene, auf der Tagesordnung. Schließlich sollte vor weiteren Reformen hinterfragt werden, wie bisherige Steuerungselemente gewirkt ha¨ ben und welche grundsatzlichen Ziele mit dem Einsatz von Steuerungsinstrumenten, speziell aus dem wettbewerblichen Instrumentenkasten, verfolgt werden. Eine Debatte uber ¨ Ziele und Instrumente der Gesundheitspolitik ¨ jeder neuen Bundesregierung gut, tate gleich welche Parteien diese stellen werden. Denn wer das Ziel nicht kennt, fur ¨ den ist jeder Weg der Richtige.
Zusammenfassung der Diskussion zu Schwerpunkt I: Grundsatzreferate – erster Teil
Moderation: Jurgen Hammerstein ¨ Rohlshoven, niedergelassener Arzt aus dem Saarland, beanstandet eingangs die fehlende ¨ Fachkompetenz im Bundestag. Dort saßen allenfalls 10 Abgeordnete, die die ihnen zur Abstimmung vorgelegten gesundheitspolitischen Gesetzestexte in ihren praktischen Aus¨ wirkungen richtig einzuschatzen wußten: ¨ Die da draußen mußten ¨ sich dann mit den Folgen ¨ herumqualen. – Daß sich die privaten Krankenkassen die Gesunden unter den Klienten ¨ ¨ um der niedrigeren Pramien willen hatten ¨ heraussuchen konnen, sei schlecht gewesen. ¨ Um so unverstandlicher sei es, daß mit dem Upgrading beim RSA vergleichbare Manipula¨ tionsmoglichkeiten wieder neu etabliert wor¨ klar, wenn ein den seien. Es sei doch vollig solches Instrument existiert, daß es dann auch genutzt, d.h. daß upgegradet wird, ’’ ob dabei nun gelogen wird oder nicht – also ’’ das sind Dinge, die wir draußen jetzt alle erleben und die keiner mehr versteht . Knieps weist in seiner Antwort am Beispiel der Honorarreform darauf hin, daß ihm dabei ¨ nur 3 Mitarbeiter zur Seite gestanden hatten. Das reiche nicht aus, um ein System zu schaf¨ des Gefen, das der gesamten Komplexitat ¨ sundheitswesens gerecht werden konne. Da schaffe er lediglich Leitplanken, die dann der gemeinsamen Selbstverwaltung uberantwor¨ ¨ klar, das institutiotet wurden. ¨ Ihm sei vollig nelle und wirtschaftliche Interessen, sobald ein Gesetz draußen ist, einsetzen, und daß jeder in diesem System nach seinem Vorteil sucht. Wenn allerdings der Vorstandsvorsit¨ zende der drittgroßten Krankenkasse sagt, ¨ von Gesetze seien unverbindliche Vorschlage ¨ der Spaß auf: Als JuUlla Schmidt, dann hore rist glaube er an die Bindung an Gesetze!
¨ Kossow vom Hausarztebund erkundigt sich nach dem Stand der Diskussion uber ¨ Bestand ¨ und Reform der Kassenarztlichen Vereini¨ gung. Knieps habe doch diese Korperschaft ¨ offentlichen Rechts als gesetzlich kontrollierten Monopolisten charakterisiert, der allerdings manche gesetzlichen Vorgaben einfach nicht ¨ hinbekame – ganz im Gegensatz zu gewissen Selektivvertragspartnern außerhalb der KV. ¨ Nach seiner personlichen Meinung sei es sinnvoll, antwortet Knieps, die KV auf die ¨ ¨ hausarztliche Versorgung zu beschranken; ¨ ¨ denn eine flachendeckende Primarversorgung sei als Grundlage fur ¨ ein differenziertes Gesundheitswesen einfach notwendig. Was den ¨ Wettbewerb zwischen Krankenhausern und ¨ Facharztpraxen anlangt, so konnte dieser ¨ in Verbindung mit eidurch Selektivvertrage ner Reform des Honorierungs- und des Be¨ darfsplanungssystems geoffnet werden. Auf die Frage von Stellpflug, Berlin, welche Richtung Bedarfsplanung und Zulassungsbegrenzung im Hinblick auf die Wettbewerbs¨ starkung nehmen sollen, antwortet Knieps, in dunn ¨ besiedelten Regionen musse ¨ jeder Versicherte innerhalb einer Stunde vor Ort sein ¨ konnen. hinaus aber auch noch Daß daruber ¨ die einzelnen Arztsitze bestimmt werden sollen, kritisiere er. In unterversorgten Gebieten mußten ¨ finanzielle Anreize zur Besetzung der Arztsitze eingeplant werden. Außerdem sollte fur ¨ Ober- und Mittelzentren festgelegt werden, welche Facharztpraxisstrukturen es dort geben soll. ¨ Cremer vom Berufsverband der Frauenarzte ¨ sich an der Bezeichnung der Hamburg stoßt ¨ Arzte als Leistungserbringer; man brauche nur noch Leistung durch Werk und Erbringer ¨ ¨ durch Tatiger zu ersetzen, und schon ware ¨ man beim Werktatigen angelangt. Knieps’ ¨ Antwort: So stehe es halt im SGB V, die Arzte
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seien schließlich nicht die einzige Profession im Gesundheitswesen – nicht einmal die ¨ ¨ großte zahlenmaßig. Bei einer kurzlichen ¨ Veranstaltung in Hamburg, so Cramer weiter, habe Lauterbach uber ¨ ‘‘Big deal’’ oder ‘‘Knock out’’ gesprochen: was Profit bringt bleibt, was keinen Profit bringt, fliegt raus. Da war von Gesundheitsmarkt, Gesundheitswirtschaft und Industrialisierung der Medizin die Rede und der ¨ uhrer Hauptgeschaftsf ¨ einer großen Gruppe bezeichnete eine bessere Abstimmung des Portefeuilles als seine Aufgabe. Er habe das alles schon ziemlich gruselig gefunden! Im Zuge dieser Vorstellungen ist z.B. ein AIDSKranker der ideale Patient; denn er bringt richtig Geld. Wer mit seiner Krankheit nicht ins Portefeuille hineinpaßt, der gehe mal zu den Barmherzigen Schwestern; vielleicht ¨ konnen ihm dort geholfen werden! Jansen sieht wie Busse ein Hauptproblem darin, daß sich die Patienten kaum am Wettbewerb im Gesundheitswesen beteiligen, naturlich ¨ abgesehen davon, daß sie sich ihren Arzt und ihr Krankenhaus selbst aussuchen ¨ wollen. Vertragswahl bzw. -anderung mit und ohne Kassenwechsel interessiert im Grunde genommen die Masse der Patienten nicht. Knieps stimmt dem zu: Es sei eben nicht so, ¨ ¨ daß jeder standig am Internet hangt, um sich die Angebote der Krankenversicherer anzugu¨ cken. Dafur ¨ sprachen die niedrigen Wechslerzahlen: Selbst 2 Prozentpunkte Beitragsunter¨ schied zwischen den Kassen bzw. Vertragen seien hierzulande bisher offensichtlich kein sonderlicher Anreiz zum Wechseln der Kasse gewesen, obwohl dabei aufs Jahr umgerechnet das Viertel eines Monatsgehalts herauskomme – ein Betrag, der mit dem Arbeitgeber geteilt werden musse. ¨ Die augenblickliche Wechslerzahl von 25% musse ¨ hier außer Be-
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