Wettbewerb und Markt im Gesundheitswesen: Gegen oder für Patienten?

Wettbewerb und Markt im Gesundheitswesen: Gegen oder für Patienten?

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Public Health Forum 17 Heft 64 (2009) http://www.elsevier.de/phf

Wettbewerb und Markt im Gesundheitswesen: Gegen oder fu¨r Patienten? Guido Offermanns

Selbstverwaltung, die Versicherer, die professionellen Vereinigungen, die La¨nder mit ihren nachgeordneten Ko¨rperschaften sowie Lobbyisten (u.a. Pharma, Medizintechnik). In der Regel beschra¨nkt sich der Nationalstaat auf die Formulierung von Rahmenvorgaben ( Generalnormen ), deren Kon’’ kretisierung den nachgeordneten Akteuren auf der Meso-Ebene, insb. den Selbstverwaltungspartnern, wie z.B. den Kassena¨rztlichen Vereinigungen (KVen) und den Krankenversicherungen, u¨berlassen wird (Subsidiarita¨tsprinzip) (Rosenbrock, 2004). Die Steuerung auf der Makro-Ebene erfolgte vor wenigen Jahren prima¨r mit dem Fokus auf die Beka¨mpfung der steigenden Kosten und hatte wenig die einzelnen Prozesse der Versorgung und die Ergebnisse der Krankenbehandlung im Blick. Wettbewerb wu¨rde bedeuten, dass sowohl Leistungserbringer als auch Krankenkassen im Wettbewerb um den Patienten stehen (Cassel, 2003). Im Zentrum dieses Wettbewerbs mu¨sste allerdings die Qualita¨t der Leistung stehen und nicht das Streben nach Marktanteilen oder die Erbringung von mo¨glichst vielen und teuren Leistungen. Ein Grundprinzip eines Wettbewerbs um beste ’’ Qualita¨t fu¨r Patienten mu¨sste daher sein, die Leistungserbringer sta¨rker in die Mitverantwortung fu¨r die Ergebnisse der Versorgungsprozesse einzubeziehen. Die Gesundheitspolitik muss daher einerseits versuchen, den Wettbewerb auf sinnvolle Parameter auszurichten ’’

nachgefragt ha¨tten. Patienten sind systematisch schlechter informiert ¨ rzte, die zugleich Anbieter diaals A gnostischer sowie therapeutischer Leistungen sind. Folglich ko¨nnen die Patienten nicht zwischen unterschiedlichen Qualita¨ten auswa¨hlen und sind ebenfalls nicht in der Lage die Prozesse der Leistungserbringung in ihrem Sinne zu beeinflussen oder zu steuern – eigentlich eine Grundbedingung fu¨r Markt- und Wettbewerb (Hildebrand, 2005). Als Korrektiv zur eher schwierigen Rolle von Patienten und Versicherten als Marktpartner im Gesund’’ heitswesen finden sich in der gesundheitspolitischen Diskussion unterschiedliche Begriffe wie Bu¨rger-, Patienten-, und Konsumentenorientierung (AOK Bundesverband, 2003) sowie neuerdings auch der Begriff der Nutzerorientierung (Mozygemba et al., 2009; SVR, 2005). Diese Begriffe gehen alle in eine Richtung, na¨mlich der Forderung nach Einfu¨hrung von geeigneten, Makro-, Meso- und Mikroebene integrierenden Steuerungsinstrumenten, die den Folgen des Markt- und Steuerungsversagens entgegenwirken sollen. Die auf den einzelnen Ebenen isoliert eingesetzten Instrumente haben bisher jedoch wenig bis gar keine Wirkung gezeigt. Auf der Makro-Ebene, die man auch als nationalstaatliche und supranationale Ebene der Gesundheitspolitik bezeichnet, wird nach effektiven Steuerungsmo¨glichkeiten durch den Gesetzgeber gesucht. Akteure und beratend ta¨tig sind die ’’



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Zur Lo¨sung der vielfa¨ltigen Probleme im Gesundheitswesen wurden in den vergangen Jahren fast gebetsmu¨hlenartig Wettbewerb und Markt als mo¨gliche Lo¨sungsansa¨tze postuliert (u.a. Oberender und Zerth, 2008). Spa¨testens nach der Finanzkrise ist der generelle Glaube an die neoliberale Wirtschaftsideologie heftig in die Kritik geraten. Die frei und wenig reguliert wirkenden Kra¨fte des Marktes fu¨hren gerade bei den schwa¨chsten Marktpartnern zu schwierigen, teils Existenz bedrohenden Auswirkungen. Anreize des Wettbewerbsmodells, u¨bertragen auf das Gesundheitssystem, ko¨nnten dazu fu¨hren, dass sowohl Krankenkassen als auch Leistungserbringer sich Vorteile zu Lasten von Patienten bzw. Versicherten verschaffen. Mo¨gliche Risikoselektion, informelle Rationierungen, einseitige Kostenorientierung sowie schlechte Qualita¨t fu¨r einzelne Patientengruppen sind nur einige Beispiele hierfu¨r. Eine weitere Schwierigkeit sind die Informationsassymetrien großen zwischen Patienten als Nachfra’’ ger von Gesundheitsleistungen und den anbietenden Health Professionals. Dieses Ungleichgewicht wird auch als mangelnde Konsumentensouvera¨nita¨t bezeichnet. Daraus abgeleitet werden kann das Pha¨nomen der angebotsinduzierten Nachfrage: Patienten nehmen Leistungen in Anspruch, die sie bei vollsta¨ndiger Information u¨ber den eigenen Gesundheitszustand sowie u¨ber die Diagnose- und Therapiemo¨glichkeiten u.U. nicht

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Steuerungs Systemebene Fokus Beteiligte instrumente GesundheitsSicherstellung von EU, Staat Gesetze und system Beteiligung Länder, Regionen Verordnungen Solidarprinzip PatientenvertreAnreizsysteme Zugang und tungen Transparenz Gleichbehandlung Versicherer (u.a. HTA, HIA) Qualitätssicherung Lobby vulnerable Gruppen Organisation KundenSelbstverwaltung Dienstleistungs- und Leistungserorientierung Selbsthilfegruppen Qualitätsmanagement bringer Mitarbeitervor Ort Informed Consent und ProzessVerbände Coopetition orientierung (z. B. DKG, KVen, Evidence Based Medi Effektivität Kammern) cine Health Health PatientenPersonalführung Professionals Professionalorientierung Prozessmanagement Angehörige PatientenOutcome Leitlinien Case-Manager Beziehung Empowerment Klinische Pfade Patienten Value for money Fehlermeldesysteme anwälte Effizienz Abbildung 1. Patienten- und Ergebnisorientierung im Mehrebenen-Steuerungskonzept Mikro

Meso

Makro

und andererseits mo¨gliche negative Folgen, insbesondere fu¨r sozial schwache und benachteiligte Personen zu begrenzen und regulierend einzugreifen (Solidarprinzip). Menschen aus sozial schwachen Bevo¨lkerungsschichten ha¨tten unter Marktbedingungen erhebliche Schwierigkeiten u¨berhaupt Zugang zu Leistungen zu erhalten. Dies zeigen vor allem Erfahrungen aus den USA (Deppe, 2002). Die Umsetzung entsprechender politischer Vorgaben und Rahmenbedingungen ist jedoch nur mo¨glich, wenn auch auf Meso- und Mikroebene entsprechende anschlussfa¨hige Steuerungsinstrumente eingesetzt werden (Abb. 1). Auf der Meso-Ebene wird die Frage der effektiven Steuerung aus der Sicht der jeweiligen Organisationen betrachtet. Diese Ebene entspricht am ehesten dem u¨blichen betriebswirtschaftlichen Ansatz und umfasst neben dem Ziel der Einfu¨hrung neuer Steuerungs-

(eigene Darstellung).

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ansa¨tze auch alle Ansa¨tze zur Schaffung einer neuen Unternehmenskultur. Prima¨res Ziel der Versorgungseinrichtung muss es sein, Strukturen und Prozesse der Leistungserbringung auf die Bedu¨rfnisse der Patienten hin auszurichten (Offermanns, 2008a). Dazu kann auch die Kooperation mit anderen Leistungserbringern im Wettbewerb geho¨ren, wenn beide Partner davon profitieren (Coopetition). Den Bezugsrahmen hierfu¨r kann ein Dienstleistungs- und Qualita¨tsmanagement bieten, welches Steuerungsinstrumente wie Informed Consent und Evidence Based Medicine im Mittelpunkt hat. Ziel eines Informed Consent muss sein, die Patientenorientierung und Autonomie der Patienten auch in der fu¨r sie schwierigen Situation im Krankenhaus zu bewahren und weiter zu sta¨rken. Um diese strategische Ausrichtung auf der MikroEbene umsetzen zu ko¨nnen, sollten alle Prozesse durch prospektiv wir-

kende Steuerungsinstrumente wie Leitlinien und Klinische Pfade auf die Ergebnisse der Behandlung (Outcome-Messung) ausgerichtet sein (Offermanns, 2008a). Neben transparenten Prozessen schließt das auch die Vermeidung eines mo¨glichen Schadens durch Fehlermelde- und Risikomanagementsysteme ein. Auf der Mikro-Ebene geht es um die Steuerung der konkreten Beziehung zwischen Patienten als Leistungsempfa¨ngern und den Health Professionals als Leistungserbringern. Zunehmend in den Blickpunkt kommen auch Ansa¨tze zur Messung der Patientenzufriedenheit, zur U¨berpru¨fung der Patien¨ berpru¨tenorientierung und zur U fung der Wirksamkeit von Steuerungsinstrumenten wie Informed Consent. Im Gegensatz zur Outcome-Messung werden hier subjektive Erfahrungen der Patienten abgebildet, da diese das Ergebnis der Behandlung nicht oder nur eingeschra¨nkt beurteilen ko¨nnen. Zunehmend verlangen auch die Akteure auf der Makro-Ebene wie der Staat und die EU (Wismar, 2002), als oberste Steuerungsinstanzen, von den Organisationen Nachweise u¨ber deren erbrachte Qualita¨t und Kosteneffizienz auf der MikroEbene, prima¨r mit Blick auf Struktur- und Prozessqualita¨t. Zuku¨nftig wird es nicht mehr ausreichen, lediglich gute Qualita¨t zu erbringen, man wird diese auch gegenu¨ber den unterschiedlichen Anspruchsgruppen entsprechend darlegen mu¨ssen (Ergebnisqualita¨t). Die Systemebenen sind nicht unabha¨ngig voneinander. Sinnvolle gesetzliche Vorgaben (Makro-Ebene) zur Behebung der Steuerungsdefizite werden erst dann wirksam, wenn eine weitgehende Einigkeit innerhalb der auf dieser Ebene aktiven



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Beteiligten besteht und die Leistungserbringer auf der Meso-Ebene u¨ber geeignete organisatorische Instrumente zur Umsetzung der verabschiedeten Gesetze verfu¨gen. Die Steuerungsinstrumente in den Versorgungseinrichtungen ko¨nnen sich jedoch nur auf die Meso- und Mikro-Ebene konzentrieren. Jede Organisation, die jedoch ihre eigene Steuerungsfa¨higkeit auf diesen Ebenen immer weiter erho¨ht, wird geringere Probleme haben, sich immer neuen und vera¨nderten



Literatur siehe Literatur zum Schwer- punktthema. www.elsevier.de/phf-literatur doi:10.1016/j.phf.2009.06.005

Rahmenbedingungen seitens der Makro-Ebene zu stellen. Zusa¨tzlich werden solche Organisationen, die sich konsequent auf die Bedu¨rfnisse der Patienten ausrichten, bessere Erfolge am Markt erzielen.

Dr. Guido Offermanns Alpen-Adria-Universita¨t Klagenfurt Fakulta¨t fu¨r Wirtschaftswissenschaften Institut fu¨r Unternehmensfu¨hrung ¨ konomie Bereich Management und O im Gesundheitswesen Universita¨tsstraße 65-67 A-9020 Klagenfurt guido.off[email protected]

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Einleitung Zur Lo¨sung der Probleme im Gesundheitswesen wurden in den vergangen Jahren Wettbewerb und Markt als mo¨gliche Lo¨sungsansa¨tze postuliert. Anreize des Wettbewerbsmodells, u¨bertragen auf das Gesundheitssystem, ko¨nnten dazu fu¨hren, dass sowohl Krankenkassen als auch Leistungserbringer sich Vorteile zu Lasten von Patienten bzw. Versicherten verschaffen. Der Beitrag zeigt Schwierigkeiten sowie Risiken in der Anwendung des Marktmodells auf und pra¨sentiert mo¨gliche Lo¨sungsansa¨tze.

Schlu¨sselwo¨rter: Gesundheitssystem, Effektivita¨t, Effizienz, Health Professionals, Krankenhaus, Marktversagen, Steuerungsversagen, Outcome, Patienten, Prospektive Steuerung, Qualita¨tsmanagement, Steuerungsinstrumente Keywords: Effectiveness, efficiency, governance failure, health care system, health outcome, health professionals, hospital, market failure, patients, problems of governance, prospective governance, quality management

Literaturverzeichnis AOK-Bundesverband Wege zur Sta¨rkung der Patientensouverenita¨t. Bonn: AOK-Bundesverband; 2003. Cassel D. Wettbewerb in der Gesundheitsversorgung: Funktionsbedingungen, Wirkungsweise und Gestaltungsbedarf. In: Arnold J, et al., Herausgeber. KrankenhausReport 2002 Schwerpunkt: Krankenhaus im Wettbewerb. Stuttgart: Schattauer; 2003. S. 1–20. Deppe HU, Burkhardt W. Solidarische Gesundheitspolitik – Alternativen zu Privatisierung und Zwei-Klassen-Medizin. Hamburg: VSA-Verlag; 2002. Hildebrand R. Qualita¨tsberichterstattung in Deutschland heute. In: Klauber J, et al., Herausgeber. Krankenhaus-Report 2004 Schwerpunkt: Qualita¨tstransparenz-Instrumente und Konsequenzen. Stuttgart: Schattauer; 2005. S. 27–48. Oberender P, Zerth J. Der Gesundheitsmarkt als Wirtschaftsfaktor. In: Merz F, Herausgeber. Wachstumsmotor Gesundheit. Mu¨nchen: Hanser Verlag; 2008. S. 11–28. Offermanns G. Neue prospektive Steuerungsinstrumente im Mehrebenesystem des Gesundheitswesens. In: Zeitschrift fu¨r o¨ffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen Vol. 31, 3. 2008a. S. 284–301.

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Rosenbrock R, Gerlinger T. Gesundheitspolitik. Bern: Verlag Hans Huber; 2004. SVR Sachversta¨ndigenrat fu¨r die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Koordination und Qualita¨t im Gesundheitswesen. Berlin: Deutscher Bundestag Drucksache 15-5670; 2005. Wismar M. Analysis of single European market legislation and jurisdiction. In: Busse R, Herausgeber. The European union and health services. Amsterdam: IOS Press; 2002. p. 41–59.

Weiterfu¨hrende Literatur Hajen L, et al. Gesundheitso¨konomie Strukturen-Methoden-Praxisbeispiele, 3. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer; 2006. Gu¨ntert B, Offermanns G. Qualita¨tsmanagement im Gesundheitswesen unter sich vera¨ndernden Rahmenbedingungen. In: von Eiff W, et al., Herausgeber. Der Krankenhausmanager: Praktisches Handbuch fu¨r Krankenha¨user und Einrichtungen des Gesundheitswesens, Ausgabe Januar, Abschnitt 16. Berlin: Springer; 2002. S. 1–34. Mozygemba K, et al. Nutzerorientierung – ein Fremdwort in der Gesundheitssicherung. Bern: Verlag Hans Huber; 2004. ¨ sterOffermanns G. Qualita¨tsmanagement in O reich – Quo vadis? In: Krzcal A, Heraus-



geber. Aktuelle Fragen des Gesundheitsmanagements. Wien: Verlag Wilhelm Maudrich; 2008b. S. 144–67. Porter M, Olmsted Teisberg E. Redefining health care – creating value-based competition on Results. Boston: Harvard Business Press; 2006. Rehm M, Zu¨ndel M. Auf dem Weg zum Nutzer – Zur Entwicklung einer Konzeption. In: Mozygemba K, et al., Herausgeber. Nutzerorientierung – ein Fremdwort in der Gesundheitssicherung? Bern: Verlag Hans Huber; 2004. S. 65–71. Schmidt C, Mo¨ller J. Katalysatoren des Wandels. In: Klauber J, et al., Herausgeber. Krankenhaus-Report 2006 Schwerpunkt: Krankenhausmarkt im Umbruch. Stuttgart: Schattauer; 2006. S. 3–20. SVR Sachversta¨ndigenrat fu¨r die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit, Band 1, Zielbildung, Pra¨vention, Nutzerorientierung und Partizipation, Kurzfassung. Berlin: Deutscher Bundestag Drucksache 14/ 5660; 2001. Schrappe M. Qualita¨tstransparenz – Qualita¨tsmanagement und Qualita¨t im Wettbewerb. In: Klauber J, et al., Herausgeber. Krankenhaus-Report 2004 Schwerpunkt: Qualita¨tstransparenz-Instrumente und Konsequenzen. Stuttgart: Schattauer; 2005. S. 17–26.